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Hoher Stein: Ein kleiner Berg und ein großes Geheimnis

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Die Geschichte der spurlos verschwundenen vier Jungen im Warthagebirge in den 60. Jahren des 20. Jahrhunderts schlägt immer höhere Wellen. Doch ist diese Legende nur Humbug, oder enthält sie ein Körnchen Wahrheit?

Vier vermisste Jungen – alles nur Fake?

Am 16. Juli 1966 entscheiden sich vier Jungen, eine Séance durchzuführen. Sie bereiten sich gründlich vor und wählen den Ort, wo sie Geister beschwören werden – den Hohen Stein. Die ziemlich kleine Erhebung befindet sich am östlichen Gebirgskamm des Warthagebirges/Góry Bardzkie zwischen Wartha/Bardo und Gierichswalde/Laskówka. Auf dem Gipfel, umwoben vom Wald, liegt seit Jahrhunderten ein riesiger Stein. Nach der Wanderung zu diesem von Menschen verlassenen Ort, stellen die Jungen ein Zelt auf, zünden ein Lagerfeuer an und pünktlich um Mitternacht fangen sie an, Geister zu beschwören. Zu ihrer Verwunderung passiert jedoch nichts. Sie entscheiden sich also, die Séance zu beenden. Doch in diesem Moment hört es auf zu wehen, das Lagerfeuer erlöscht und es wird still. Auf einmal hören die Jungen merkwürdige Geräusche, als ob jemand mit einer sehr hohen Geschwindigkeit in ihre Richtung laufen würde. Erschrocken ergreifen sie die Flucht. In Gierichswalde/Laskówka kommen jedoch nur zwei von ihnen heil an. Die anderen verschwinden spurlos. Trotz der sofortigen Benachrichtigung der Polizei werden weder die Jungen, noch ihre Leichen gefunden. Diejenigen, die heil zurück gekommen sind, klagen hingegen, dass sie jede Nacht von einer Kreatur namens Aargaroth und ihrem Tod träumen. Ein paar Tage später verschwindet der erste von Ihnen und wenig später auch der letzte. Seit diesem Ereignis gilt der Hohe Stein als verflucht und hin und wieder kommt es angeblich zu weiteren Verschwinden. Angeblich hat man bereits acht Fälle dokumentiert.

 

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So lautet die Legende des Hohen Steins, über die viele polnische Internetseiten berichten. Menschen, die diese Geschichte kennen, behaupten, dass man sich diesem verfluchten Ort nicht nähern sollte. Der Ort soll sogar eine merkwürdige Energie ausstrahlen. Am Hohen Stein sollen angeblich elektronische Geräte nicht funktionieren, Vögel hören auf zu singen und jeder, der diesen Ort besucht, soll eine Atmosphäre des Grauens auf der eigenen Haut spüren. Das alles klingt, wie ein Skript eines Horrorfilms. Ist es jedoch wahr, oder alles aus der Luft gegriffen?

Nach Marcin Drews, dem Moderator des YouTube-Kanals „Łowcy Przygód“ und Jerzy Organiściak, Historiker und Reiseführer ist diese Legende reiner Humbug, der absolut nichts mit der Wirklichkeit gemeinsam hat. „Die Legende enthält nur ein Körnchen der Wahrheit. Was für eins? Das Einzige was wahr ist, ist der Gipfel selbst, wie auch der Stein, der sich auf ihm befindet. Das ist aber alles. Mehrmals habe ich schon erzählt, dass die Geschichte des angeblichen Verschwindens nur eine Stadtlegende ist, die nicht mehr als 15 Jahre alt ist. Außer mir, hat niemand in Polen versucht, diese Geschichte zu bestätigen. Ich habe immer behauptet, dass die Wahrheit am interessantesten ist und glaube immer noch daran“, kommentierte Drews. Einer ähnlichen Meinung ist auch Organiściak – „Ich finde, dass dieses Ereignis von jemanden erfunden wurde, um dem Warthagebirge/Góry Bardzkie eine Aura des Unglaublichen zu verleihen, denn es ist das am wenigsten besuchte und kleinste Gebirge in den Sudeten. Ich glaube, dass die Legende vom Hohen Stein zum ersten Mal im Buch „Legendy i opowieści Ziemi Ząbkowickiej“ (dt. Legenden und Geschichten des Frankensteinlandes) von Ewa Pazdioara, Tomasz Karamon und Bogusław Romaszewski, das im Jahr 2006 herausgegeben wurde, erschien. Man kann dort lesen, dass am Hohen Stein acht Personen verschwunden sind.“

Seit Anbeginn der Zeit faszinieren uns Geheimnisse. Einst hatte die Welt viele von Ihnen. Dann, mit dem Fortschritt, haben wir immer mehr Fragen beantwortet. Wir haben das Innere der Erde, die Tiefe der Ozeane erkundet, wir flogen auf den Mond, bereiten uns auf die Reise zum Mars vor und mit Teleskopen erkunden wir den Kosmos. Ein normaler Mensch hat noch wenig zum Entdecken. Wir suchen also immer neue Geheimnisse, weil wir es mögen, Angst zu haben. Wir mögen es zu glauben, dass irgendwo eine unbekannte, magische Welt wartet. Aus demselben Grund mögen wir auch Horrorfilme und obwohl wir wissen, dass alles ausgedacht ist, glauben wir tief im Herzen, dass es sich verwirklichen könnte, also haben wir Angst, nachts in den Keller zu gehen – Marcin Drews „Łowcy Przygód“

Atmosphäre des Geheimnisvollen, SS-Truppen und Aargaroth

Schon früher hielt man diesen Ort für magisch und geheimnisvoll. Genau hier sollten schwedische SS–Truppen verschiedene Rituale durchgefüht haben. Nach der Meinung von Drews und Organiściak ist es jedoch eine falsche Information. „Menschen lieben es, belogen zu werden, wenn die Lügen eine andere, magische Realität vor ihnen öffnet. Es ist nicht wichtig, dass diese Geschichten komplett aus der Luft gegriffen sind“, erklärt der Moderator von „Łowcy Przygód“. Organiściak betont hingegen, dass in der deutschen Literatur nichts über geheimnisvolle Erscheinungen an diesem Ort zu finden ist. Vom Hohen Stein hörte man erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, nach dem angeblichen Verschwinden der Jungen auf dem bereits zu Polen gehörenden Terrain. „Man erkannte diesen Ort als magisch und geheimnisvoll vor acht Jahren an, als die erfundene Geschichte des angeblichen Verschwindens auf dem Hohen Stein immer populärer im Netz wurde. Früher war es nur einer von vielen, nicht wirklich interessanten Hügeln, der sogar von Bewohnern von Wartha/ Bardo nicht besucht wurde, weil es in der Nähe interessantere und schönere Wanderwege gab. Die Behauptung, dass dieser Gipfel ein Ort des heidnischen Kults war oder späterer Okkultismusrituale, ist eine Lüge. Es ist allgemein bekannt, dass der Zobtenberg/Ślęża eine Kultstätte war, insofern gibt es keine Beweise, dass der Hohe Stein eine ähnliche Funktion erfüllte. Im keinen Fall ist es ein besonderer Ort – nicht am höchsten, nicht am breitesten, nicht am originalsten. Er zeichnet sich mit nichts Außergewöhnlichem aus“, erklärt Marcin Drews.

Wenn es also am Hohen Stein zu keinem Verschwinden kam, erschien auch kein Dämon namens Aargaroth. Sowohl der Name, wie auch die Gestalt selbst sind Fiktion. Drews betont, dass man diesen Namen weder in Okkultismusabhandlungen finden kann, noch im Buch des magischen Wissens, Grimoire. Das Ungeheuer wurde also zum Zweck der Geschichte erfunden.

Der Berg strahlt auch keine Energie oder Kraft aus. Er unterscheidet sich nicht von anderen Gipfeln in der Nähe. Sowohl Jerzy Organiściak, als auch Marcin Drews, haben diesen Ort besucht und keiner von Ihnen kann bestätigen, dass hier eine Aura des Geheimnisvollen und der Magie herrscht. Handys und Kompasse funktionieren problemlos und man kann sogar das Singen der Vögel hören. Manche betonen, dass man die merkwürdige Energie nur in der Nacht spüren kann, wenn alles geheimnisvoller erscheint. Im Zusammenhang mit dem was Orgainściak und Drews erzählen, klingt es jedoch wie eine sehr vorteilhafte Rechtfertigung. Der Moderator von „Łowcy Przygód“ betont, dass der Hohe Stein einfach ein normaler Hügel in der Mitte des Waldes ist, wie viele andere, der mit Sicherheit keine merkwürdige Kraft ausstrahlt, egal ob tagsüber oder in der Nacht.

Fälle des Verschwindens

Und was ist mit den Fällen des Verschwindens in der Gegend, die doch dokumentiert werden sollten? Sind diese Informationen zumindest teilweise wahr? „In der Gegend verschwand nicht mal eine Person. Das angebliche Verschwinden von Kindern, wie auch Waldarbeitern, sind eine literarische Fiktion. Jemand hat ein paar Geschichten erfunden, um Wartha/ Bardo attraktiver zu machen. Leider hat er die Ethikgrenze überschreitet, denn er stellte fest, dass diese Geschichte wahr ist. Der Autor selbst soll sogar mit Zeugen gesprochen und Pressematerialien analysiert haben. Doch die Zeugen existieren nicht, wie auch die Pressematerialien – die Geschichte ist frei erfunden. Es existiert eine Reihe von Beweisen, die zeigen, dass der Autor den Leser bewusst in die Irre führte. Erstens bestätigt weder die Polizei, noch das Forstamt, dass es in der Region des Hohen Steins jemals zum Verschwinden von Personen kam. Zweitens, es existieren keine Pressemeldungen über dieses Geschehen und der Autor behauptete doch, dass er auf Pressematerialien basierte. In den Jahren der angeblichen Verschwindensfälle gab es in dieser Region nur zwei Zeitungen – Słowo Polskie und Gazeta Robotnicza. Ich habe aufmerksam stundenlang alle Ausgaben aus dieser Zeit durchblättert. Ich habe nicht mal die kleinste Erwähnung von irgendeinem Zwischenfall in der Nähe des Hohen Steins gefunden. Und die Presse hat damals viele verschiedene, manchmal unglaubwürdige Meldungen publiziert, die wir heutzutage als Fake News bezeichnen. Drittens, die Geschichte des Verschwindens kennen nicht mal die ältesten Bewohner von Wartha/Bardo, auch der einheimische Pfarrer oder die Angestellten des Informationspunktes für Touristen hatten keine Ahnung davon“, erklärt Marcin Drews. Derselben Meinung ist auch Jerzy Organiściak – „Ich habe mir erlaubt, diese Informationen zu überprüfen und habe die damaligen Zeitungen durchgeblättert (damals konnte man in Breslau/Wrocław und Niederschlesien/Dolny Śląsk Gazeta Robotnicza oder Słowo Polskie finden). Dieses Ereignis wurde nicht einmal erwähnt. Es sollten doch angeblich vier Personen verloren gegangen sein, wir haben ein genaues Datum, also sollten die Polizei und Staatsanwaltschaft irgendwelche Handlungen durchführen und Zeitungen sollten darüber schreiben.“

 

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Eine Reise zum Hohen Stein

Wie wurde die Geschichte populär? Die Legende ist Teil des Buches “Legendy i Opowieści Ziemi Ząbkowickiej” (dt. Legenden und Geschichten des Frankensteinlandes), das in einer sehr kleinen Auflage veröffentlicht wurde. Wahrscheinlich entstand der erste Internetartikel über das Verschwinden der Jungen auf der Basis dieses Buches. “Im Jahr 2011 hat ein Nachrichtenportal dieses Thema übernommen, doch hat nichtmal versucht, diese Informationen zu verifizieren. Und so begann die Karriere der heute wahrscheinlich bekanntesten Stadtlegende Polens”, kommentierte Drews. Organiściak erklärt hingegen, dass “die Legende mehr landesweit bekannt ist, als lokal. Das Ereignis weckt die Fantasie der Glücksritter. Das Warthagebirge/Góry Bardzkie wird nicht oft besucht, den Ort finden in Wirklichkeit nur Pilzsammler, Jäger und Forstwirte.”

Wenn sich jemand entscheiden sollte, den Hohen Stein zu besuchen, kann man Probleme haben, diesen Ort zu finden. Man sagt, dass er auf keiner Karte markiert wurde. Der Hohe Stein ist tatsächlich nicht leicht zu finden, doch nicht weil er auf keiner Karte markiert ist, sondern weil er sich auf keinem der Wanderwege befindet. “Der Gipfel befindet sich auf dem östlichen Gebirgskamm des Warthagebirges/Góry Bardzkie in der Nähe der Ortschaft Gierichswalde/Laskówka. Dieses Dorf kann man mit dem Auto erreichen. Weiter führt ein Wanderweg in Richtung der Ortschaft Janowiec. Von diesem Ort aus wartet noch eine 15 Minuten lange Wanderung. Um den Gipfel schneller zu finden, sollte man die Karte ‘Góry Bardzkie’ oder ‘Ziemia Ząbkowicka’ kaufen”, erklärt Organiściak. Marcin Drews gibt wiederum zu, dass, obwohl der Gipfel leicht zu erreichen ist, hat er sich auf dem Weg verirrt. Das GPS hat ihm einen falschen Weg gezeigt. Heute ist der Hohe Stein gut in Google Maps gekennzeichnet, was die Wanderung sehr erleichtert. Aber wie kann man erkennen, ob die getroffene Erhebung in Wirklichkeit der Hohe Stein ist? Er ist ungefähr 500 m ü.d.M. und auf dem Gipfel befindet sich ein niedriger Gneisenstein. Auf ihm wurde eine kleine Inschrift “Hier träumten einst zwei Glückliche M.F.” geritzt.

Wieso lockt dieser Ort immer mehr Touristen an? “Seit Anbeginn der Zeit faszinieren uns Geheimnisse. Einst hatte die Welt viele von Ihnen. Dann, mit dem Fortschritt, haben wir immer mehr Fragen beantwortet. Wir haben das Innere der Erde, die Tiefe der Ozeane erkundet, wir flogen auf den Mond, bereiten uns auf die Reise zum Mars vor und mit Teleskopen erkunden wir den Kosmos. Ein normaler Mensch hat noch wenig zum Entdecken. Wir suchen also immer neue Geheimnisse, weil wir es mögen, Angst zu haben. Wir mögen es zu glauben, dass irgendwo eine unbekannte, magische Welt wartet. Aus demselben Grund mögen wir auch Horrorfilme und obwohl wir wissen, dass alles ausgedacht ist, glauben wir tief im Herzen, dass es sich verwirklichen könnte, also haben wir Angst, nachts in den Keller zu gehen”, erklärt Marcin Drews.

Wie man sehen kann, enthalten nicht alle Legenden ein Körnchen der Wahrheit. Ein Teil von Ihnen ist sogar völlig aus der Luft gegriffen. Man sollte also überlegen, ob man wirklich alles glauben sollte, was man hört. Manchmal kann man nur mit wenig Aufwand und richtigen Fragen an richtige Personen die ganze Geschichte widerlegen und beweisen, dass alles nur Fake ist. Legenden und Fake News verkaufen sich jedoch immer noch hervorragend und geben den Adrenalinjunkies den Nervenkitzel, den sie so dringend suchen.

 

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