Ein Beitrag von Nikolas J. Schmidt – polenverstehen.de
S&P, Moody’s und vielleicht bald auch Fitch – die großen Rating-Agenturen blicken kritisch auf Polen. Doch eigentlich sind sie es, die seit Jahren in der Kritik stehen. Im Fall von Polen werden sie aber plötzlich wieder ernst genommen. Dabei stützt sich das Rating von S&P kaum auf ökonomische Kriterien. Es scheint sich politisch gegen die polnische Regierung zu richten.
Polnische Wirtschaft – schon seit Jahren steht das nicht mehr für Chaos und Ineffizienz, sondern für Stabilität, Wachstum und solide Finanzen. Nicht nur deshalb schlug im Januar 2016 die Nachricht ganz unerwartet ein: Polen wird herabgestuft, von einem A- auf ein BBB+. Sofort reagierten die Märkte: Der polnische Złoty fiel und auch der Handel an der Warschauer Börse verlangsamte sich. Der zumindest kurzfristig signifikante Einschlag war vor allem der Überraschung geschuldet. Denn seit 2007 hatte Polen immer wieder die Note A- bekommen. Zuletzt hatte Standard & Poor’s (S&P) noch im August 2015 für die Zukunft Polens positiven Aussichten gehabt.
August 2015 – noch positiver Ausblick
In der Analyse vom 7. August 2015 analysiert die Agentur vor allem ökonomische Indikatoren und die polnische Wirtschaftspolitik. Sie geht bereits davon aus, dass es einen politischen Wechsel geben wird und spricht von einem intensivem Wahlkampf. Die „gesteigerte politische Unsicherheit angesichts anstehenden Parlamentswahlen“ wird allerdings bereits in diesem Rating reflektiert. Lediglich ein Wechsel in der „Fiskalkonsolidieriung, im makrökonomischen Management oder der Währungspolitik“ oder schwächeres Wachstum könnte dazu führen, dass der Ausblick von „positiv“ auf „stabil“ korrigiert würde. Nirgends ist davon die Rede, dass die Bewertung sinken könnte.
Unerwartete Herabstufung
Die plötzliche Herabstufung kam also nicht nur unerwartet, sie ist in der Praxis der Rating-Agenturen auch höchst unüblich. „Eine Veränderung der Aussichten ist nicht unentbehrlich vor der Veränderung der Ratingbewertung selbst“, meint allerdings Felix Winnekens im Interview mit der polnischen Wirtschaftzeitung Puls Biznesu. Er arbeitet für S&P in Frankfurt und hat das Rating erstellt. „Unsere Ratings müssen immer aktuell sein.“ In seiner Analyse vom 15. Januar 2016 gibt er aber gleichzeitig zu, wie anfällig für Fehler die Agenturen sind, wenn es um Voraussagen geht. Die Veränderungen in Polen „gehen darüber hinaus, was wir bezüglich politischer Kurswechsel vor den Parlamentswahlen antizipiert hatten“.
Rating ist nicht ökonomisch…
Er verteidigt auch den großen Einfluss der politischen Faktoren in seinem Rating. „Institutionelle Fundamente eines Landes können normalerweise nicht einfach verändert werden und stellen deshalb selten einen Hauptpunkt unser Ratingberichte dar. Aber im Fall von Polen nehmen wir seit den Parlamentswahlen einige Entscheidungen wahr, die in unserer Bewertung die Unabhängigkeit, Effektivität und Glaubwürdigkeit zentraler staatlicher Institutionen untergraben.“ So liest sich auch seine neue Analyse. Während im August 2015 vor allem ökonomische Argumente den Ausschlag gaben, wirkt die Analyse vom Januar 2016 nun eher wie eine politische Stellungnahme, gerade den ersten Absatz hätte so auch die polnische Opposition schreiben können.
…denn wirtschaftlich steht es gut um Polen
In diesem Rating spielt also vor allem die politisch-institutionelle Bewertung eine große Rolle. Bei der Methodik des Ratings finden sich allerdings neben der „institutionellen Effektivität“ auch noch vier andere Hauptkriterien, die sich u.a. auf Wachstum, Schulden, Liquidität und Währungspolitik beziehen. Wirtschaftlich steht es aktuell gut um Polen, so die Analyse von S&P: Relativ stabile Staatsschulden, solides Wachstum. Gleichzeitig kritisiert sie PiS-Initiativen wie das Kindergeld, weil dieses das Haushaltsdefizit steigern könnte, oder die neuen Steuern auf Banken, Versicherer und Supermarktketten, da diese sich vor allem auf ausländische Unternehmen auswirken würden. Doch diese ökonomischen Indikatoren fließen ausdrücklich nicht in die Veränderung des Ratings an sich ein. Laut der Analyse hat sich in Polen ausschließlich die Bewertung des institutionellen Kriteriums verschlechtert: „Das Komitee kam darüber ein, dass sich die institutionelle Bewertung verschlechtert hat. Alle anderen Hauptbewertungskriterien sind unverändert.“
Notenbank bedroht?
Die Methodik ist durchaus fragwürdig. Warum sollte sich Justiz- oder Medienpolitik auf die wirtschaftliche Leistung oder Kreditwürdigkeit auswirken? Die Unabhängigkeit und Stabilität von Institutionen ist grundsätzlich wichtig, für die Wirtschaft spielt vor allem die Zentralbank eine große Rolle. In den meisten Ländern soll sie vom Konzept her unabhängig sein, ist es jedoch faktisch nicht. Die Zentralbank wird auch in Bericht von S&P erwähnt. Aber auch eine eventuelle institutionelle Bedrohung der Polnischen Nationalbank hat keine Rolle bei der Herabstufung gespielt, sie sorgt lediglich für negative Aussichten. Die Reaktion der Ratingagentur Moody’s ist somit wesentlich verständlicher: sie hat ihr Rating von A2 (was etwa dem A- von S&P entspricht) gehalten und lediglich die Aussichten auf negativ gestellt.
Bürgerplattform gut bewertet – trotz Problemen
Doch wenn man der Logik von S&P folgt und politisch-institutionelle Veränderungen den Ausschlag geben, stellen sich andere Fragen: Warum waren diese Kriterien unter der vorherigen Regierung nicht so wichtig? Immerhin übte auch die Bürgerplattform Druck auf die Medien aus. Es war die Bürgerplattform, die damit begann, die Unabhängigkeit der Verfassungsgerichts zu untergraben. Das entsprechende Gesetz wurde im Juni 2015 beschlossen – im August bestätigte S&P das Rating mit positiven Aussichten. Wie passt das zusammen? Seit 2007 hatte Polen (von da an bis 2015 von einer Koalition aus Bürgerplattform und Bauernpartei regiert) immer wieder die Note A- von S&P erhalten – und das trotz eines steigenden Staatsdefizits.
Rating-Agenturen sind umstritten
Es scheint, als ob auch amerikanische Unternehmen die politische Voreingenommenheit bezüglich Polen erreicht hat, die sich in den deutschen Medien und der westeuropäischen Elite festgesetzt hat – immerhin kommt das Rating aus Frankfurt. Obwohl sie politisiert und teilweise unglaubwürdig wirken, haben Ratings großen Einfluss. Nicht nur in der Wirtschaft richten sich viele nach ihnen, auch politisch tragen sie zur Diskussion bei. Dabei werden sie mal als Argument verwendet und mal diskreditiert – je nach dem wie es politisch opportun ist.
2008 #financialcrisis: #Ratings aren’t critical enough
2010 #greececrisis : Ratings are too critical
2016 #Poland: Ratings are right#wtf— Nikolas J. Schmidt (@nikschm) 12. Mai 2016
If Moody’s cuts tomorrow: „Stupid rating agencies! Worthless! Banksters!“
If Moody’s maintains: „Rating agencies endorse our programme!“
— Exen (@Exen) 12. Mai 2016
Von Krise zu Krise
Im Zuge der Finanzkrise von 2008 war es üblich, die drei großen amerikanischen Rating-Agenturen maßgeblich für die Krise verantwortlich zu machen. Sie hätten für zweifelhafte Produkte zu gute Ratings vergeben. Überhaupt seien die Ratings voreingenommen gegenüber den Auftraggebern, die für das Rating bezahlen. Zwei Jahre später bei der Staatsschuldenkrise in Griechenland kritisierten europäische Politiker dieselben Rating-Agenturen – dieses Mal jedoch dafür, dass sie die griechischen Staatsanleihen zu schlecht (!) bewerteten, also zu ehrlich seien. Es kam sogar die Idee auf, eine eigene, also europäische Rating-Agentur zu gründen.
Reformen erfolglos, Kapitalismus selbsterfüllend
Daraus ist allerdings nichts geworden. Die Kritik am sogenannten Kapitalismus – allerdings ohne brauchbares Alternativkonzept – wächst in der westlichen Welt, vor allem in der jungen Generation und unter Intellektuellen. Doch anstatt das prinzipiell effiziente System der Marktwirtschaft mithilfe von sinnvoller Regulierung wieder attraktiv zu machen, gingen Politiker überall auf der Welt diese Probleme kaum an – und ließen so auch die Marktmacht der Rating-Agenturen weitgehend unangetastet. Das ist besonders deshalb sehr problematisch, da die Ratings den Effekt von selbsterfüllenden Prophezeiungen haben. Je öfter man hört: „Investoren sorgen sich um Polen“ oder „Polnische Wirtschaft schwächelt“, desto wahrscheinlicher wird es auch, dass sich Investoren tatsächlich sorgen und weniger investieren. Darunter leidet dann die polnische Wirtschaft, was wiederum tatsächlich Grund zur Sorge gibt und die ursprüngliche Aussage bestätigt.
Ökonomisch analysieren, politisch handeln & skeptisch bleiben
Politische Entscheidungen sollten von ökonomischem Sachverstand geleitet sein. In den letzten Jahren haben europäische Politiker häufig aus vermeintlicher politischer Notwendigkeit gegen den Rat von Ökonomen entschieden. Wirtschaftliche und politische Beratung durch Ökonomen ist sinnvoll, aber Ökonomen sollten sich nicht politisch vereinnahmen lassen. Das Rating von S&P scheint teilweise weniger wie eine ökonomische Analyse, denn mehr wie ein politisches Urteil. Nicht nur hier ist deshalb eine gesunde Skepsis angebracht.
(c) Nikolas J. Schmidt
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Direkte Zitate sind Übersetzungen des Autors aus dem Englischen bzw. Polnischen.