Gestern und heute. Herrlichkeit und Verfall. So nahe beieinander, aber doch so weit auseinander. Die zerstörerische Kraft der Zeit gibt und nimmt. Gibt – für einen kurzen Moment – eine neue Perspektive und nimmt (unwiederbringlich) die Herrlichkeit. Manchmal nimmt sie aber weitaus mehr als nur den Glanz der vergangenen Jahre. Im Fall vom Heizkraftwerk Szombierki hat die Zeit eine Genehmigung bekommen, die Geschichte und ein Erbe, welches über 100 Jahre überstanden haben, zu verschrotten. Warum ist es so gekommen? Wer hat das erlaubt? Wer kann das noch aufhalten? Eine Suche nach Antworten und ein Appell an die Vernunft.
Bytom/Beuthen O.S. Eine Stadt, für welche jahrelang Stahl, Kohle, Schächte und Kamine symbolisch waren. Eine Stadt, die sich heute verändert, Hand in Hand mit dem Geist der Zeit geht und den Bedürfnissen ihrer Bewohner folgt. Die Wohnbedingungen und Infrastruktur werden weiterhin verbessert, es verändert sich das Stadtbild. Aus dem Stadtpanorama verschwindet aber von Minute zu Minute die Beuthener Kathedrale des Industriezeitalters – das Heizkraftwerk Szombierki.
Drei charakteristische Schornsteine, zwei Türme und Mauern, welche jahrelang die Entwicklung und die Pracht unter einem Dach zusammen brachten, sind heute ein bedrohtes Erbe, für welches es bereits fünf vor zwölf ist. Zwar misst die Uhr an dem Uhren- und Wasserturm keine Zeit mehr, doch diese steht nicht still. Vor Jahren hat sie hier ihr zerstörerisches Unwesen begonnen, welches sie nicht alleine treibt. Dagegen halten die Wächter dieses Objekts. Sie haben seine Schönheit erkannt noch bevor die zerstörerischen Kräfte sein Tor überschritten haben.
Der verblichene Glanz
Das Heizkraftwerk Szombierki, damals noch als Kraftwerk Oberschlesien, wurde 1920 offiziell in Betrieb genommen. Der Bau selbst dauerte 3 Jahre lang und für das Projekt waren Georg und Emil Zillmann zuständig. Angestellt wurden die legendären Architekten, welche u.a. auch die Arbeitersiedlung Nickischschacht entworfen haben von der Schaffgotsch Bergwerksgesellschaft GmbH. “Die Zillmanns haben das Kraftwerk Szombierki am Beispiel einer preußischen Burg gestaltet. Es gibt zwei Türme – der eine war vorerst ein Wasserturm, später wurde er zum Uhren- und Wasserturm und der andere ist ein Hochofen zur Aufkohlung. Es gibt auch einen kleinen Hof. Klein aber fein. Es ist also ein wuchtiger Industriekomplex, welcher das Stadtbild beherrscht”, erklärt Andrzej Janota vom Verein der Freunde des Heizkraftwerks Szombierki (poln. Klubu Przyjaciół EC Szombierki). Das damalige Kraftwerk sollte in den Augen der Architekten und Investoren weitaus mehr als nur ein Industriebetrieb sein. Das bestätigen auch Büroräume im Stil der frühen Moderne, welche von Behrens-Lampen beleuchtet wurden, oder das Gewölbe aus Stahl und Lärchenholz in den Maschinenräumen. “Das Heizkraftwerk Szombierki wird nicht ohne Grund als die Kathedrale des Industriezeitalters bezeichnet. Das hat seine Gründe in der Art, wie dieses Objekt designt wurde. Diese hohen Decken, Räume, Gewölbe oder verschiedene Linearstrukturen – das alles gibt uns ein Gefühl der Erhabenheit. Hier kommt der Mensch mit dem alten Technologiegedanken in Berührung. Die Tatsache, dass man an der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts einen so prachtvollen Industriebetrieb entwerfen konnte, hinterlässt einen mächtigen Eindruck”, fügt Joanna Budny-Rzepecka vom Kongress für Denkmalschutz (poln. Kongres Ochrony Zabytków) hinzu.
Wie viel hat die Zeit und ihre Komplizen dem alten Glanz entgenommen? Eine Menge. Den Geist des alten Kraftwerks kann man aber immer noch spüren und sehen, aber nicht immer in demselben Licht, wie es die Zillmans gesehen haben. “Die wunderschönen Behrens-Lampen sowie die Mutteruhr, welche früher im Uhren- und Wasserturm war und alle Uhren im Kraftwerk steuerte, sind noch erhalten geblieben“, weist Andrzej Janota hin. “An sich ist auch der angesprochene Turm außergewöhnlich. Ich denke, es gibt keinen zweiten dieser Art in ganz Europa. Im Inneren befinden sich 8 Wassertanks, jeder 7 Meter hoch. An dem Uhren- und Wasserturm befindet sich auch die einzigartige Siemens und Halske-Uhr mit dem originalen Mechanismus aus dem Jahr 1925. Zwar beginnt er einzustürzen, aber noch steht der wunderschöne Maschinenraum, der einen überragenden Eindruck vermittelt. Früher befanden sich dort die Turbosätze. Im Kesselhaus ist die Produktionsstraße erhalten geblieben, mit Förderbandanlagen, der Abwurfstation, einen Teil des Heizkessels, der Abschlackanlage sowie Förderwagen, welche auch als Kippkarren bezeichnet werden. Das alles ist immer noch im Heizkraftwerk drin und wir können anhand dessen zeigen, wie all das hier früher funktionierte”, fügt das Mitglied des Vereins der Freunde des Heizkraftwerks Szombierki hinzu. Die Innenräume und die bis heute verbliebene Innenausstattung sind aber nur ein Bruchteil vom alten Glanz und der damaligen Innovation.
Das Heizkraftwerk Szombierki – Luftbild (Foto: Depositphotos)
Die zerstörte Schönheit
Noch im Jahre 1955 erreichte das Kraftwerk eine Leistung von über 100 MW, und dennoch begann bereits einige Jahre später die Umwandlung vom Kraftwerk zum Heizkraftwerk. “Die Stromproduktion wurde stufenweise und schließlich 1998 komplett stillgelegt. Später kam das Kraftwerk nur als Ersatz oder bei Engpässen zum Einsatz”, erklärt Andrzej Janota. Im Laufe der Jahre und parallel zum technologischen Fortschritt veränderten sich das Leben im Industrietempel sowie seine Besitzer. Noch unter dem Zespół Elektrociepłowni Bytom (kurz ZEB), wurden hier Feste gefeiert, Boxkämpfe veranstaltet sowie Opern, Operetten wie auch Theaterstücke aufgeführt. Das Objekt erlebte ein neues Leben, und der Tempel der Technik verwandelte sich immer mehr in einen Tempel der Kultur. “Damals glaubten alle, dass alles gut gehen muss, weil hier die Schlesische Oper ihre Stücke auf die Bühne bringt und heute sprechen wir darüber, ob das Objekt in einem halben oder in einem Jahr nicht abgerissen wird”, sagt Joanna Budny-Rzepecka.
Seinen zerstörerischen Stempel drückte dem Prachtbau auch die Zeit auf, und zu ihren Komplizen wurden die Besitzer und lokale Behörden. Das ZEB wollte dem Objekt eine neue Funktion verleihen und setzte dabei auf ein breit angelegtes Kulturzentrum. Letztendlich ist es nie dazu gekommen. 2011 zusammen mit der Übernahme der Heizkraftwerks Szombierki durch die finnische Energiegesellschaft Fortum, begann der fortschreitende Verfall des Objekts und die Verschrottung der Geschichte und des kulturellen Erbes. Und das nicht nur metaphorisch, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. “Das Heizkraftwerk Szombierki wurde erst 2013 zum Denkmal erklärt. Fortum hatte kein Interesse an einer Sanierung und behauptete gleichzeitig, dass sie nur für die Wärmeproduktion zuständig sind”, erklärt Andrzej Janota.
Doch es ist nie so schlimm, damit es nicht noch schlimmer kommen könnte. Die Kathedrale des Industriezeitalters wurde zwar ins Denkmalregister aufgenommen, aber ohne die bewegliche Ausstattung (darunter auch die historischen Maschinen) sowie die das Landschaftsbild. Der finnische Besitzer nutzte das gnadenlos aus und beließ es nicht bei der Nicht-Sanierung. Die historischen Räume wurden im Schnelldurchlauf geleert und parallel dazu wurde nicht nur die Wärmeproduktion, aber auch die kulturelle Tätigkeit eingestellt. Der Industrietempel verfiel immer mehr und mit seiner (Un)Tätigkeit öffnete der Besitzer ganz weit die Tür für Mutter Natur, welche gemeinsam mit der Zeit ein Samenkorn in die historischen Mauern legte. Heute sprießen aus ihm wuchernde Pflanzen, welche ein Ziegel nach dem anderen die Fassade zersprängen. Es konnte und sollte aber anders kommen.