Das Jahr 2019 wurde dem Komponisten Stanisław Moniuszko gewidmet. Der Vater der polnischen Nationaloper feiert nämlich seinen 200. Geburtstag. Zu diesem Anlass finden in Polen zahlreiche kulturelle Veranstaltungen rund um den Künstler statt. Er selbst bleibt aber an der Weichsel eher unbekannt, obwohl er ein viel interessanter Komponist ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Stanisław Moniuszko kam 1819 in Ubiel, in heutigen Weißrussland, zur Welt. Nach einiger Zeit zog die Familie zuerst nach Warschau und dann nach Minsk um. Aus Polen-Litauen, das sich die drei Besatzungsmächte (Russland, Preußen und Österreich) angeeignet hatten, blieb nur die symbolische Bezeichnung „Polnisches Königreich“ übrig, die auf den kleinen Teil des früher gigantischen Territoriums, dass sich Russland angeeignet hatte, hinwies. Sein Studium legte Moniuszko in Berlin ab, wo er eine vielseitige musikalische Ausbildung unter dem scharfen Auge Carl Rungenhagens an der Singakademie genoss. Das Leben als Erwachsener Mann begann der Komponist an der Seite seiner Ehefrau Aleksandra Müller in Vilnius, wo er sich rege an der Belebung des kulturellen Lebens beteiligte.
Anfangs war Warschau/Warszawa nicht von seinem Schaffen begeistert – dies aus unterschiedlichen Gründen. Die in den Jahren 1846-1847 in Zusammenarbeit mit dem Literaten Włodzimierz Wolski geschriebene Oper „Halka“, mit welcher Moniuszko große Hoffnungen verbunden hatte, musste auf ihre Premiere auf der großen Bühne bis 1858 warten. Ihr enormer Erfolg garantierte dem Musiker die Stelle des Chefdirigenten im Großen Theater in Warschau (poln. Teatr Wielki w Warszawie). Es begann eine sehr fruchtbare Zeit im Leben des Komponisten. Nachdem er nach Warschau/Warszawa zog, komponierte er, vorbereitete und brachte viele neue Werke zur Erstaufführung – entstanden sind u.a. „Der Flößer“ (poln. „Flis“ (1858). „Gräfin“ (poln. „Hrabina,“ 1860) und „Verbum nobile“ (1861). Die Premiere der Oper „Das Gespensterschloss” – eines Werks, das neben „Halka“ zu den wichtigsten in seinem Lebenswerk gehört – wurde durch den Ausbruch des Januaraufstandes 1863 verzögert. Vor seinem Tod, gelang es dem Komponisten die tragische Oper „Paria“ (1869) und eine Operette „Beata“ (1872) dem Publikum vorzustellen. Moniuszko starb 1872 an einem Herzinfarkt.
Stanisław Moniuszko, „Halka“, Manuskript aus der Skarbek-Bibliothek in Lwiw, 2. Hälfte des 19. Jh., Eigentum des Theatermuseums in Warschau/Warszawa
Den Titel „Vater der polnischen Nationaloper“ verdankt der Komponist den oben erwähnten Opern. Die Bezeichnung selbst, obwohl recht verdient und ehrenhaft, stellt den Künstler auf ein Podest, das für eine bescheidene Person, die nicht daran interessiert war, stets nach oben zu schauen, viel zu hoch war. Die Aura eines „nationalen Propheten“, die an den Komponisten in den Zeiten der Besatzung gewachsen ist und sich in der Epoche der Volksrepublik Polens verfestigt hatte, ermuntert die Menschen leider nicht, einen Schritt in Richtung seines Schaffens zu machen. Man muss sich deshalb bewusst sein, dass Moniuszko nicht nur der Verfasser von erhabenen, patriotischen und ernsten Opern war, von welchen nur zwei als Tragödien bezeichnet werden dürfen – aber auch fast 300 Lieder, einige Kantaten, Kammermusik und religiöse Musik, wie auch zahlreiche Stücke für Klavier und Orgeln komponierte.
Einen speziellen Platz nimmt im Gesamtwerk des Komponisten die Liedersammlung „Śpiewnik domowy“ („Haus-Liederbuch”), die als eine Zeitschrift veröffentlicht wurde. Die Sammlung entstand aus Sorge des Musikers um das Musizieren der Menschen, dem man sich damals mit Vorliebe in jedem Haus gewidmet hat. „Śpiewnik” war eine Sammlung von Liedern, die für eine Stimme und Klavier geschrieben waren. Ihr Schwierigkeitsgrad war bedacht differenziert. Die Bände erfreuten sich großer Beliebtheit unter den Empfängern. Interessanterweise, schrieb Moniuszko im Vorwort zum ersten Band sein künstlerisches Programm nieder, in welchem er die Rolle der Musik in Pflege der nationalen Identität hervorgehoben hatte:
„In dieser Hinsicht kann auch mein Gesangbuch etwas bewirken. Denn wenn schöne Poesie verbunden mit schöner Musik in der Lage sind, sich den Weg zum Ohr und Herzen zu bannen, die nicht gerade sehr musikalisch sind, dann kann auch schwächere Musik, die nicht ganz gelungen ist, bei hervorragender Poesie auf Nachsicht stoßen, und das, was national, vaterländisch, regional und als Echo unserer Kindheitserinnerungen erscheint, nie den Bewohnern des Landes, in welchem sie geboren und großgezogen wurden, aufhört zu gefallen. Dies war die Inspiration für meine Lieder, die – obwohl sie unterschiedliche Musik einbeziehen – doch einen vaterländischen Charakter aufweisen“.
Den Auftakt der Feierlichkeiten zum Anlass des Moniuszko-Jahres in Polen bildeten die Aufführung der mit patriotischen Symbolen überladenen Inszenierung der Oper „Das Gespensterschloss“ in der Königlichen Oper (poln. Opera Królewska) und der feierlichen Benennung des Hauptbahnhofs in Warschau/Warszawa mit dem Namen des Komponisten. Diese zwei Ereignisse sorgten dafür, dass in den Medien und Öffentlichkeit kritische Stimmen zu vernehmen waren. Außerdem machten die Ereignisse sichtbar, wie abgestempelt die Person des Komponisten ist. Trotzdem bildet das breite Programm kultureller Events genug Möglichkeiten, sich sowohl mit den bekannten, wie auch in Vergessenheit geratenen Werken vertraut zu machen. Details zu allen Veranstaltungen sind auf der Internetseite moniuszko200.pl zu finden.
Um das Leben und Schaffen des Komponisten besser kennenzulernen und sich zu den populären Tendenzen in ihrer Darstellungsweise zu distanzieren, hat PolenJournal.de ein Interview mit dem Musikologen und Polonisten, Mitarbeiter des Kunstinstituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN), Dr. Grzegorz Zieziula durchgeführt, der ein bisschen Licht auf die interessante Person des Komponisten, sein Werk und die Zeiten, in denen er gelebt hatte, warf.
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Emanuela Janda, PolenJournal.de: Inwiefern prägte die damalige politische, gesellschaftliche und kulturelle Lage Polens die Persönlichkeit und das Schaffen von Stanisław Moniuszko?
Grzegorz Zieziula, Kunstinstitut PAN: Die Frage, die sie gestellt haben, ist so umfangreich, dass es unmöglich ist, sie in nur wenigen Sätzen zu beantworten. Fangen wir damit an, dass die Welt, in welcher der Komponist lebte, in ihren Grenzen und geopolitischen Realien, wie auch ihrer ganzen Vielfalt, gar nicht an unsere geordnete Welt, die wir heute aus unserer Erfahrung kennen, erinnerte. Wir können natürlich konkrete Orte besuchen, z.B. solche, in welchen die Lebensgeschichte von Stanisław Moniuszko beginnt. Ich komme eben aus Weißrussland zurück, wo man uns Ubiel (den Geburtsort des Komponisten) und Śmiłowicze (das ehemalige Gut des Großvaters des Künstlers und Gemeindesitz der Familie zugleich) gezeigt hat. Wir sind in einen Bus eingestiegen und haben das moderne Minsk hinter uns gelassen. Nach nur wenigen Minuten sah ich hölzerne Dörfer, genau solche, die ich mir vor 30 Jahren auf dem Gebiet von Provinz Bialystok angesehen habe. In meiner Erinnerung hatte ich die Stiche, die die Bücher über den Komponisten schmückten, also wartete ich darauf, das ich in jeden Augenblick den hölzernen Hof mit seiner Kapelle, in welcher der Künstler getauft wurde, zu sehen bekomme. Doch unser Bus parkte in dem Schatten der großen Kiefer, vor einem Erholungszentrum. Wir betraten das Gelände. Aus den Megaphonen ertönte russische Discomusik, sie klang eigenartig futuristisch. Wir erreichten einen ziemlich dunklen Park, der das Gelände umgab. Zwar gelangen wir nicht an die Ortschaft Radkowszczyzna, wo, wie man weiß, damals das Grabmal der Eltern und Urgroßeltern des Komponisten stand (es wurde während der Revolution zerstört), aber man zeigte uns Bilder, die davon zeugen, dass ein paar Grabtafeln irgendwo im Gras verborgen waren. Zurzeit ist die Umgebung nicht geordnet, aber weißrussische Enthusiasten von Moniuszko geben sich viel Mühe, um diesen Platz entsprechend abzusichern.
Sie sprechen über „Polen”, aber 1819 wurde der Komponist außerhalb des vom Zar ausgeschnittenen – mit Einverständnis des Königs von Preußen und Kaisers Österreichs – kleinen Marionetten-Königreich Polen: auf den Gebieten des ehemaligen Großfürstentums Litauen, das direkt von Russland angeeignet wurden, geboren. Die dortige Elite war organisch auf jeden Fall mit der polnischen Tradition und Kultur verbunden, aber ihr machte die sich stets verstärkende und immer brutalere Russifizierung zu schaffen.
Gutshaus in Ubiel, Gouvernement Minsk, gezeichnet von Napoleon Odra (1867)
In manchen Veröffentlichungen über den Komponisten kann man die Überzeugung vorfinden, dass seine Familie von bürgerlichen Gedanken geprägt war. Ist es richtig? Welchen Einfluss hatte es auf das Schaffen von Moniuszko?
Ich finde nicht, dass die bürgerlichen Leitgedanken für diese Familie ausschlaggebend waren. Zum Bürgertum gehörte die Ehefrau von dem Komponisten und ihre Verwandten, die Familie Moniuszko hingegen – als Vertreter der Intelligenz und Gutsherren – pflegte die Adelstraditionen als „aufgeklärte Sarmaten“ (die Onkel des Komponisten väterlicherseits gehörten den Freimaurern an). Nach dem Novemberaufstand wurde der Adel, der stets an die Traditionen Polen-Litauens gebunden war, auf unterschiedliche Weise zerstört. Das Zarentum handelte konsequent und nachhaltig. Die polnische Armee wurde aufgelöst (als Armee von Konstantin Pawlowitsch Romanow überstand sie bis 1831) und man führte eine „Reform“ des Heroldamts durch, infolgedessen der Adelstitel dem ärmeren und patriotisch gesinnten Adel weggenommen wurde. Das polnische Bildungssystem wurde ebenfalls aufgelöst. Wenn man sich auf einem höheren Niveau bilden wollte – nicht nur im Bereich der Musik, sondern auch in anderen Richtungen – musste man das Land verlassen. 1858 gilt als Wendemoment, das politische Tauwetter ermöglichte Moniuszko die Stelle des Hauptdirigenten in Teatr Wielki in Warschau/Warszawa zu bekommen (und dies war der höchste Posten, den damals im Königreich Polen ein Musiker besetzen konnte). Der Anfang der 60er Jahre brachte aber in Warschau/Warszawa eine Welle von heiteren, gegen den Zaren gerichteten Demonstrationen, die von dem militärisch-amtlichen Mechanismus, gesteuert von den Romanows, brutal und blutig niedergeschlagen wurden. Letztendlich kamen die Jahre 1863-1864 mit dem Januaraufstand, der mit einer Niederlage, Exekutionen und massenhaften Verbannung nach Sibirien endete. In solcher Atmosphäre schuf Moniuszko. Wie könnte sie nicht sein Werk beeinflussen?
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Gehört Moniuszko zu diesen Künstlern, die von klein auf Berührung mit der Kunst hatten? Wie war die musikalische Landschaft seiner Zeit?
Ja, die Eltern des Komponisten hatten künstlerische Ambitionen. Der Vater war im Bereich der bildenden Künste begabt, er beschäftigte sich auch mit Poesie und Literatur. Die Mutter, die notabene aus einer elitären armenischen Familie stammt, spielte Klavier und soll eine wunderschöne Stimme gehabt haben. In diesen Zeiten wurde das Polnische und die alten Traditionen nur auf den Höfen gepflegt. Die offiziellen Einrichtungen, die Regierung und Behörden wurden russifiziert. Für den jungen Moniuszko wurde Vilnius zur ersten lokalen Metropole. Nachdem die Universität geschlossen wurde, entwickelte sich die Stadt zwar nicht weiter, aber sie verfügte über eine eigene Musikkultur. Der Publizist Stanisław August Lachowicz beschrieb die Hauptstadt Litauens um 1840 als eine Art „Pianopolis“ und einen wichtigen Anhaltspunkt für Sänger und Virtuosen auf ihrem Weg nach Sankt Petersburg. Stanisław Moniuszko, der eben aus Berlin zurück gekommen ist, brachte mit sich nicht nur die deutsche Orgel- und Sakralmusik, aber auch Symphonien, Kammermusik und Lieder. Mit Begeisterung organisierte er Konzerte und schuf seine ersten, heute vergessenen, „kleinen“ Opern. Sie wurden für konkrete Musiker konzipiert. In der Stadt funktionierte eine Schauspiel-Oper-Truppe, die von einem anfangs deutschsprachigen, in nur kurzer Zeit aber polonisiertem Schlesier, Wilhelm von Schmidkoff, geführt wurde. In Vilnius finden wir leider kein Denkmal, das man ihm gewidmet hätte, obwohl seiner Tätigkeit – der Führung des Orchesters und der Sänger – die Stadt die Entstehung der ersten Opernbühne zu verdanken hat.
In Veröffentlichungen über Moniuszko rücken auf den ersten Plan sein Pflichtgefühl gegenüber der Gesellschaft, genauso wie sein Wunsch, sie durch die Musik aufzuklären. Der Komponist selbst äußerte es im Vorwort zu seiner Liedersammlung „Śpiewnik domowy“ („Haus-Liederbuch”). War es wirklich seine Absicht?
Ich finde, dass damals der Gedanke der gesellschaftlich engagierten Kunst vielen mitteleuropäischen Künstlern, die sich mit einer mehr oder wenig „unterdrückten Nation“ identifiziert hatten und für das Autonomierecht, wie auch separaten politischen Organismus eingesetzt hatten, nicht fremd war. Wenn man sich aber diese Personen ansieht, sollte man nie ihre persönlichen Ziele und künstlerischen Ambitionen aus den Augen verlieren. Bereits in Vilnius war es Moniuszko bewusst, dass er für den „Hausgebrauch“ komponiert, aber er wollte auch eine Stelle bekommen, die es ihm ermöglichen würde, seine „Flügel auszubreiten“ und seine künstlerischen Pläne zu realisieren. Aus diesem Grund besuchte er Sankt Petersburg und Warschau/Warszawa. Sankt Petersburg blieb für ihn unerreichbar. Die Hauptstadt des Königreichs Polen gab ihm schließlich eine Chance, seine Träume zu verwirklichen.
Der Komponist schuf sein ganzes Leben lang Lieder. Inwiefern basierte Moniuszko auf der deutschen Liederschule, mit welcher er in Berlin in Berührung kam? Was ist so besonders an seinen Werken dieser Art?
Die deutsche Musik lernte Moniuszko selbstverständlich in Berlin kennen. Die Phonosphäre von Vilnius, die von dem bereits erwähnten S.A. Lachowicz beschrieben wurde, erklimm nicht nur mit Klaviermusik, sondern auch mit Gesang. Es waren nicht nur polnische Lieder, aber auch fremdsprachige, vor allem französische Lieder. Und es waren nicht nur Kunstlieder, sondern allgemein bekannte Kompositionen. Für die einfachen Empfänger war vor allem der Inhalt wichtig. Mit besonderer Vorliebe sang man z.B. in Vilnius die französische Ballade Te souviens-tu, disait un capitaine, au vétéran qui mendiait son pain, die voller Erinnerungen an die Napoleonära war, die von einem alten, verarmten Soldaten erzählt wurden. Viele von Moniuszkos Lieder behandeln Themen, die die damaligen Empfänger gerührt haben, z.B. Erinnerungen an die Zeiten vor der Besatzung oder die Napoleonära hervorbrachten.
Womit drückt sich die Folklore im Schaffen von Moniuszko aus?
Die Folklore war im 19. Jahrhundert eine typische Konvention. In der polnischen Musik bannten ihr den Weg die Vorgänger von Moniuszko: der Slowake Maciej Kamieński, der Tscheche Jan Stefani, der Schlesier Józef Elsner und der erste von uns groß gezogene Komponist Karol Kurpiński. Indem Moniuszko die Volkstöne traf, knüpfte er vor allem an Elsner und Kurpiński an. Man konnte eine „Nationaloper“ nicht komponieren, wenn man nicht „Król Łokietek“ („König Łokietek”, Elsner) und „Zamek na Czorsztynie“ und „Nowe Krakowiaki“ („Das Schloss von Czorsztyn” und „Die Neue Krakauer”, Kurpiński) kannte. Es waren eben Elsner und Kurpiński, die den polnischen Opernstil entworfen haben, und ihn mit Rhythmen des Krakauers, Polonaisen, Mazuren, mit einem Hauch der wehmütigen Dumka und energischen Militärmarsch, ausgestattet haben. Moniuszko bemerkte aber, dass solche Herangehensweise auf die Dauer unproduktiv ist und eine Art künstlerische Autarkie bildet. Er versuchte also die Errungenschaften seiner Vorläufer zu europäisieren, indem er neben nationalen Mazuren und Polonaisen, den Rhythmus der Salontänze – der Polka, den Walz, den Galopp, die Quadrille und sogar das altmodische Menuett – einführte.
Moniuszko wird als Vater der polnischen Nationaloper genannt. „Halka“ wartete auf ihre Premiere mehrere Jahre, weil ihr Inhalt am Anfang als ungeeignet angesehen wurde. Bereits zur Lebenszeit des Komponisten kritisierte man seine Stoffwahl. Könnten Sie ein bisschen über die Opern und andere Werke von Moniuszko erzählen?
Ich habe letztens den Opern von Moniuszko aus der Warschauerzeit ein umfangreiches Kapitel gewidmet, das im Jubiläumskompendium, vorbereitet vom Polnischem Musikverlag (poln. Polskie Wydawnictwo Muzyczne), erscheinen wird. Selbst diese Werke – natürlich außer „Halka“ und „Das Gespensterschloss“ – sind einem durchschnittlichen Polen, der eine Hochschulausbildung genossen hat, unbekannt. Aus dem wissenschaftlichen Blickwinkel erweisen sich als viel interessanter die noch früheren Werke – die Operetten, die Moniuszko komponierte, als er 20 Jahre alt war. Stellen Sie sich vor, dass in den Jahren 1838-1842 seiner Feder sieben Opernpartituren entkommen sind: eine komische Oper mit deutschsprachigem Text („Die Schweizerhütte“ entstand noch in Berlin), fünf Vaudeville und eine bis heute verloren gegangene Opera Seria unter dem Titel „Twardowski“. Erst die Warschauer Librettisten, die den Werken von Moniuszko ihren Stempel aufgedrückt hatten, fügten die stark patriotischen Akzente hinzu, die durch die Symbolik des sarmatischen Kontuszs (ein Teil der altpolnischen Herrentracht für Männer – Übersetzer) und sowohl direkter, wie auch verhüllter politischen Botschaft, hervorgehoben wurden. Man muss zugeben, dass in den früher von Moniuszko benutzten Komödientexten von Aleksander Fredro („Das Nachtlager in den Apenninen“/„Nocleg w Apeninach“, „Der neue Don Quixote“/„Nowy Don Kiszot“) und Oskar Korwin-Milewski („Ideale, oder Die Neue Preciosa“/„Ideał, czyli Nowa Precjoza“, „Loteria“/„Die Lotterie“, „Karmaniol, albo Francuzi lubią zartować“/„Carmagnole, oder Die Franzosen scherzen gern“) ernste patriotische Inhalte fast gar nicht vorkommen. Andererseits gibt es einen enormen Unterschied zwischen sarkastischem Patriotismus (vielleicht sogar autoironischem Patriotismus?), der in „Halka“ und „Gräfin“, geschrieben von Włodzimierz Wolski, vorzufinden ist, und der narzisstischen Apotheose des Sarmatismus in den Librettos von Jan Chęciński, wie „Verbum nobile“ und „Das Gespensterschloss“, gibt. In der Wirklichkeit ist Moniuszko ein Schöpfer sehr vielfältiger Werke, den wir in der Welt unserer schematischen Vorstellungen eingesperrt haben. Es ist ein Künstler, der stets unbekannt ist und den man auf jeden Fall entdecken muss. Meiner Meinung nach, haben die unbekannten Werke, wie „Der neue Don Quixote“ oder „Carmagnole“ großes Bühnenpotenzial und können uns in der Zukunft helfen, den Komponisten von dem Fluch zu befreien, der ihm in der Epoche der Volksrepublik Polens, als uns eingeredet wurde, dass z.B. Moniuszko ein radikaler Demokrat und Verteidiger der Leibeigenen („Halka“) ist, auferlegt wurde und sich als erstarrtes und langweiliges Image des Künstlers manifestiert.
Zu welchen Werken sollten wir greifen, wenn wir uns mit dem Schaffen des Komponisten vertraut machen wollen? Welchen Moniuszko können wir entdecken, wenn wir uns als Leienzuhörer von der ernsten Aura, die den Künstler umgibt, nicht „abschrecken“ lassen?
Ich muss damit beginnen, dass es sich bei der Mehrheit der Opern von Moniuszko – zusammen mit „Der Gespensterschloss“ – um komische Opern handelt. Der Komponist hinterließ uns nur zwei Tragödien – „Halka“ und „Paria“. Das uns bekannte Image von Moniuszko ist nicht anderes als eine todernste Maske, die ihm aufgetragen wurde, und das Gesicht eines “alten Mannes”, der er nie gewesen war (er war nur 53 Jahre alt als er starb!). Um diejenigen für seine Werke zu überzeugen, die noch skeptisch sind, rate ich sich die allgemein auf YouTube zugängliche Aufführungen „Der neue Don Quixote“ (mit dem Text von Fredro) und “Carmagnole” (mit dem Text von Oskar Korwin-Milewski) anzusehen.
Sie wurden von Studenten der Breslauer Karol-Lipiński-Musikakademie unter der Leitung von dem mutigen Regisseur Roberto Skolmowski und hervorragendem Dirigenten Stanisław Rybarczyk vorbereitet. Es ist ein ganz anderer Moniuszko – jung, voller Enthusiasmus und guten Sinn für Humor. Der Säufermazur, der in der Introduktion von „Der neue Don Quixote“ erklingt, hat nichts mit dem pathetischen Blasen der Mazuren aus “Halka” und “Das Gespensterschloss” zu tun…