Eines der Ziele der aktuellen Regierung in Polen ist es, die Wirtschaftskriminalität effektiv zu bekämpfen. Zu diesem Zwecke wurden insbesondere neue öffentliche Institutionen ins Leben gerufen und neue Vorschriften verabschiedet, die der Verfolgung von Wirtschaftsstrafftaten dienen sollen. Zurzeit bietet das neue Recht einzelnen Unternehmern, gegen die bereits Ermittlungen aufgenommen wurden, nicht genügend Rechtsschutz. Da somit das Risiko der Unternehmensführung in Polen enorm wächst, lohnt es sich zu wissen, womit beim neuen Recht zu rechnen ist.
Die Nationale Finanzverwaltung (Krajowa Administracja Skarbowa; KAS)
Die Nationale Finanzverwaltung (weiter als KAS) ist eine Art „Steuerpolizei“, die aus der Zusammenschließung der Steuerverwaltung und der Zoll- und Finanzkontrollbehörden entstanden ist. Die KAS hat die bisherigen Aufgaben und Befugnisse der aufgezählten Behörden übergenommen, wurde aber auch in neue Kompetenzen ausgestattet, die eine hoch effektive Steuer- und Zollkontrolle ermöglichen sollen. Insbesondere ist die KAS dazu befugt, die Steuer- und Zollüberprüfungen zu führen und zwar nicht nur an dem Sitz des Unternehmers, sondern auch an dem Ort, an dem die Buchhaltung dieses Unternehmers geführt wird und an jedem anderen Ort, der in Verbindung mit dem zu überprüfenden Unternehmer steht. Wichtiger Weise kann eine Überprüfung ohne eine vorherige Benachrichtigung erfolgen. Bis zum 1.03.2017 musste die Absicht der Behörde, eine Kontrolle durchzuführen, dem Unternehmer zuvor mitgeteilt werden. Derzeit – in manchen Fällen – kann die Überprüfung der KAS nur anhand einer Legitimation des einzelnen Beamten der KAS erfolgen, weder mit einer vorherigen Entscheidung über die Eröffnung des Kontrollverfahrens, noch mit einer Benachrichtigung des Unternehmers. Dies ist der Fall, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Unternehmer rechtswidrig handelt und die Überprüfung unverzüglich vorgenommen werden muss. Wann eine solche Situation vorkommt, wird in der Praxis von Fall zu Fall entschieden.
Seitdem die KAS ins Leben gerufen wurde, hat der Unternehmer wenig Möglichkeit, sich auf eine Kontrolle vorzubereiten. Der Unternehmer ist nur berechtigt, innerhalb von 14 Tagen ab Beginn der Überprüfung, eine Korrektur seiner Steuererklärungen beim Finanzamt abzulegen. Dies sollte dem Unternehmer möglich sein, damit er selbst alle seine Steuerverflüchtigung in Ordnung bringt und somit eventuellen Rechtkonsequenzen entgeht. Nach Ablauf der Frist werden solche Korrekturen im Laufe des Kontrollverfahrens nicht mehr berücksichtigt. Mit der Einführung der KAS wurden außerdem noch weitere Sicherheitsinstrumente für die Unternehmer abgeschaffen. Beispielsweise muss die KAS den Unternehmer nicht mindestens 7 Tage vor dem Verhör eines Zeugens oder eines Gutachters, informieren. Der Unternehmer ist zwar berechtigt, an diesen Handlungen teilzunehmen, hat aber keine Möglichkeit, sich wirklich vorzubereiten.
Verschärfung der Verfolgung von Umsatzsteuerhinterzieher
Eine populäre Form des Steuerbetrugs in den Mitgliedsländern der UE sind die sog. Karussellgeschäfte. Das Karussellgeschäft besteht darin, dass Unternehmer in verschiedenen EU-Mitgliedsländern Rechnungen für Waren ausstellen, wobei jedoch einer der Unternehmer der Lieferkette, die von seinen Abnehmern bezahlte Umsatzsteuer, nicht an das Finanzamt abführt. Die Abnehmer machen hingegen die Vorsteuer geltend und erhalten diese Steuer vom zuständigen Finanzamt ausgezahlt. Sehr oft kommt es in solchen Fällen vor, dass faktisch keine Waren geliefert werden, sondern nur Rechnungen, anhand derer die Auszahlung der Umsatzsteuer erfolgt, zwischen den einzelnen Unternehmern ausgetauscht werden.
Um gegen solche Machenschaften vorzugehen, wurden neue Arten von Straftaten in das polnische Strafgesetzbuch eingeführt. Seit dem 1.03.2017 wird die Ausstellung fiktiver Umsatzsteuerrechnungen, sowie Fälschung und Überarbeitung der Rechnungen für die Zwecke der Steuererschleichung mit einer Freiheitstrafe von 6 Monaten bis zu 8 Jahren bestrafft. Wenn der Wert der gefälschten Rechnungen insgesamt 10 Millionen Zloty übersteigt, muss der Täter mit einer Freiheitsstrafe von 5 bis zu sogar 25 Jahren rechnen. Selbst wenn nur ein minder schwerer Fall vorliegt, ist mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren zu rechnen. Neben der Freiheitsstrafe ist das Verbrechen auch mit hohem Bußgeld bestrafft. Eine so hohe Strafandrohung soll für potenzielle Täter abschreckend wirken. Wegen der Aussage der neuen Vorschriften besteht aber das große Risiko, dass in der Praxis auch kleine Straftaten oder sogar Fehler bei der Rechnungsausstellung, mit hohen Strafen bestraft werden.
Das neue Gesetz sieht jedoch auch strafmildernde Umstände vor. Die Freiheitsstrafe kann dann gemildert werden, wenn der Täter alle Umstände der Straftat und alle Beteiligte den Strafverfolgungsbehörden mitteilt. Wenn der durch den Täter erlangte Vermögensvorteil zurückgezahlt wird, besteht sogar die Möglichkeit, von der Freiheitsstrafe abzutreten. Bezugnehmend auf das Ziel der neuen Vorschriften, soll man jedoch davon ausgehen, dass die strafmildernden Umstände nur in den seltensten Fällen von der Strafverfolgungsbehörde berücksichtigt wird.
Verfall eines Unternehmens
Seit dem 27.04.2017 sieht das polnische Strafrecht auch ein neues Sicherungsinstrument in Form des Verfalls des Unternehmens vor. Laut der neuen Regelungen kann das Gericht einen Verfall des Unternehmens einordnen, wenn eine Person aus einer Straftat einen, wenn auch nur mittelbaren, Vermögensvorteil von über 200 000 Zloty erlangt hat und das Unternehmen zur Erlangung oder Verdeckung dieses Vermögensvorteils genutzt wurde. Dem Verfall unterliegt auch das Unternehmen eines Dritten, wenn der Dritte wollte oder zumindest damit einverstanden war, dass sein Unternehmen durch den Täter zu den oben genannten Zwecken genutzt wird. Mit Hinblick auf die Frage des Risikos der Unternehmensführung ist im Falle des Verfalls von enormer Bedeutung, dass die Beweislast aller befreienden Umstände nicht die Strafverfolgungsbehörden, sondern den Beschuldigten obliegt. Es ist dann der Beschuldigte, der beweisen muss, dass das Unternehmen nicht zu einer Erlangung des Vermögensvorteils genutzt wurde. Ferner kann der Verfall auch dann eingeordnet werden, wenn das Strafverfahren eingestellt wurde, z.B. wenn der Straftäter gestorben ist oder nicht festgenommen werden konnte. Die durch die Strafbehörde gesammelten Beweise müssen in solchen Fällen nur darauf hindeuten, dass im Falle einer Verurteilung der Verfall eingeordnet würde.
Während des Strafverfahrens wird das verfallene Unternehmen von den Strafverfolgungsbehörden betrieben und gesichert, in dem die Behörden einen Verwalter bestellen. Zwar soll ein Verwalter als Restrukturierungsberater (polnisches Gegenstück des deutschen Insolvenzverwalters) zugelassen werden, er kann aber in der Praxis im Unternehmen doch viele Probleme verursachen und sogar Verluste machen, gegen die der Beschuldigte faktisch nichts unternehmen kann. Es kann folglich passieren, dass der Unternehmer freigesprochen wird und sein Unternehmen zurückbekommt, welches sich aber in einem schlimmen Zustand befinden kann. Die Vorschriften über den Verfall sehen selbst keine Art der Entschädigung vor.
Wird die Wirtschaftskriminalität gestoppt?
Die neuen Regelungen, wenn es um das Ziel geht, sind sehr positiv zu begrüßen, da der Staat alle Schritte vornehmen sollte, um die Wirtschaftskriminalität effektiv zu bekämpfen. Leider bieten diese Vorschriften weder genügend Rechtsschutz für Unternehmer, noch sind sie dazu geeignet, dass durch die Regierung beabsichtigte Ziel zu erreichen. Unbekannt ist noch, wie die neuen Instrumente in der Praxis genutzt werden. Alles das führt dazu, dass heutzutage das Risiko der Unternehmensführung in Polen enorm wächst. Daher sollte sich jeder Unternehmer sehr gut vorbereiten, um nicht zum Opfer der neuen Rechtslage zu werden.
Zum Autor:
Aleksander Giehsmann, in Polen als Rechtsanwalt zugelassen. Er führt eine Rechtsanwaltskanzlei mit Sitz in Wrocław und Kędzierzyn-Koźle, die kleine und mittlere Unternehmen bei der Unternehmensführung rechtlich begleitet.