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Das Polnische Monte Cassino

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Nicht weit von Kraków/Krakau entfernt ragt stolz aus dem Morgennebel die Benediktinerabtei empor. Das Leben verläuft hier in einem unveränderten Rhythmus seit fast 1000 Jahren. Für viele Menschen ist sie nicht nur eine Kultstätte, sondern auch eine Oase der Ruhe, die sie wie einen Magnet anzieht. Die Stift aus der Nähe gesehen. 

 

Eine Reise in die Vergangenheit

Die Gelehrten sind sich nicht einig, wann die Abtei entstanden ist. Manche  halten Bolesław II. für den Stifter, der im Jahr 1070 das Kloster gegründet hat. Die meisten sind jedoch der Meinung, dass die Abtei durch Kasimir I. Karl, den Sohn von Mieszko I. und der Kölner Prinzessin Richeza im Jahr 1044 gestiftet wurde. Mit ihm sind die Benediktiner, die als gelehrte Menschen den Prinzen beim Wiederaufbau des Landes nach dem heidnischen Angriff helfen sollten, gekommen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Benediktiner um 966 nach Polen gekommen sind, dafür fehlen jedoch ausreichende Beweise” – erklärt unter Berufung auf die Chronik von Jan Długosz, Pater Leon Knabit.

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Der Stift in Tyniec ist im Laufe seiner Geschichte der Eigentümer von über 100 Dörfern und vier Städten gewesen, die sie von Herrschern und Prinzen erhalten hat. Das Kloster wuchs und wurde reicher. Die Mönche, die Armut gelübden, bestimmten ihr Einkommen und ihre Zeit mit der Verbreitung von Kultur, Bildung und Wirtschaft. Sie erbauten Kirchen, vertieften das monastische Leben, kopierten Bücher. “Sie hatten einen regen Kontakt mit der Krakauer Akademie, also der späteren Jagiellonen Universität. Die Mönche gaben sich auch viel Mühe, damit  im Kloster eine Schule funktionierte. Es lag ihnen viel daran, der hiesigen Bevölkerung Zugang zur Bildung zu ermöglichen – erklärt Pater Leon. Dieses goldene Zeitalter endet mit dem Moment der Teilung Polens.  Das Kloster wurde durch den streng katholischen Kaiser Österreichs aufgelöst.

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Im Laufe der Geschichte ist das Konvent insgesamt sieben Mal zerstört worden und wurde es immer wiederaufgebaut. Nicht anders war es 1939, als dank der Initiative der belgischen Abtei Zevenkerken, die Mönche unter der Leitung von Karl van Oost nach Tyniec zurückkehrten. Es war eine Rückkehr nach 123 Jahren Abwesenheit in die ruinierte Abtei gewesen. Langsam fingen sie an, die wichtigsten Teile des Klosters aufzubauen. Kurz danach brach der II. Weltkrieg aus. Die Besatzer interessierte eine 15 km von Krakau entfernte, an der Weichsel liegende Ruine nicht, deswegen konnten die Mönche ein fast normales Leben führen.

 

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Nach dem Krieg hat man energisch mit dem Wiederaufbau der Abtei begonnen. Dank dem Interesse der Wissenschaftler und Medien sind die Arbeiten vorangegangen. Man wusste immer mehr über das Kloster und seine Vergangenheit. In dieser Zeit renovierte man die Kirche, den Türmen gab man deren ursprüngliche Form wieder, die Dächer wurden ausgebessert. Das Kloster wurde an das  Strom- und Wassernetz angeschlossen. 

Derzeit werden in der Abtei Renovierungs- und Konservierungsarbeiten geführt. Man hat den Garten erneuert und die Polychromien konserviert. Die Bibliothek und viele andere Räume hat man saniert. In dem Kellergeschoss und auf dem Parterre des ehemaligen Bibliotheksgeländes ist ein Museum entstanden, das die Geschichte der Benediktiner in Tyniec zeigt. Der Wiederaufbau des Stifts ist 2008 zu Ende gegangen.

Zurzeit begeistert die Abtei die Besucher nicht nur mit wunderschön restaurierten Innenräumen und Gebäuden – im Laufe der Jahrhunderte wurde das Kloster vergrößert, ausgebaut. Sein Aussehen hat sich auch verändert – die ältesten erhaltenen Klosterteile  wurden im romanischen Stil hergestellt. In der Ausstellung in dem Benediktiner Museum, können die Besucher die ältesten erhaltenen Beispiele der Romanik bewundern. Im Kloster gibt es zahlreiche Überreste aus der Zeit der Gotik. Die wertvollsten Sehenswürdigkeiten stammen jedoch aus der Zeit des Barocks, sowohl das wunderschön verzierte Tor, als auch das Innere der Kirche begeistern mit Reichtum und Kunst der Ausführung – was Pater Leon im Gespräch mit PolenJournal.de unterstreicht. Er fügt auch hinzu, dass, nicht nur der Erhalt und die Konservierung des ganzen Klosterkomplexes eine Herausforderung für die kommenden Jahre sind, sondern auch die Bewahrung der einzigartigen Eigentümlichkeit des Ortes – des sakralen und alten Raumes, der auch lebendig und offenen für die Besucher ist.

 

Foto aus dem Tyniec-Album 1939-2019 / Benediktinerverlag Tyniec

Ora et labora immer noch aktuell

Das Leben der Benediktiner verläuft in einer ähnlichen Weise wie vor Hunderten von Jahren. Die Ordensbrüder leben nach der alten Ordensregel Regula Benedicti. Der Tagesrhythmus ist durch Messen und Gebete bestimmt. Der Tag beginnt um 5.30 Uhr morgens. In seinem Verlauf wird gearbeitet und gebetet. Die Mahlzeiten werden zu festen Zeiten gegessen. Die Nachtruhe beginnt um 20.30 Uhr. Pater Leon betont “Heute sind unserer Heiliges Offizium oder die gemeinsame Andachten so eine Achse, um die sich ringsherum alles dreht. Wir haben die Laudes – die Morgenmesse, am Mittag gehen wir in die Kirche zum Beten. Am Nachmittag um 17.00 Uhr haben wir die Vesper und am Abend beenden wir den Tag mit dem Gebet. Das sind unantastbare Punkte.” Vielleicht sind diese gewisse Konstanz und Vorhersehbarkeit, einige der Gründe, die Hunderte von Pilgern anziehen, die nicht nur zum Beten kommen oder um die Jahrhunderte alte Abtei zu sehen, sondern auch für einen Aufenthalt im Kloster, um in seinen Mauern Ruhe und Erholung von der Hektik des Alltags zu finden.

 

Ein Moment der Ruhe

Die Abtei in Tyniec wird täglich von Hunderten von Gläubigen besucht. Am Wochenende wird sie regelrecht überflutet. Das ist, wie Pater Leon Knabit sagt, selbst für die Mönche unverständlich: “Das ist manchmal für uns schwer zu verstehen, den es ist unserer Alltag. Wir beten, gehen in die Kirche, Beten vor und nach dem Essen. Wir arbeiten nach unseren Fertigkeiten und Bedarf… Das ist für uns etwas Normales. Wir spüren es nicht direkt, dass außerhalb dieser Mauern  das Leben anders verläuft. Das erfahren wir von denen, die zu uns kommen. Oft erschöpft und gestresst fühlen sie sich hier wie in einer anderer Welt, die nicht verschiedener von ihrem Alltag sein könnte. Man hat den Eindruck, dass sie die hier herrschende Stimmung beruhigt” – bemerkt der Benediktiner.

Tausende Personen kommen nach Tyniec um an Workshops und Exerzitien teilzunehmen, in Ruhe durch den Garten zu spazieren und Illuminationen zu zeichnen oder sich einfach zu beruhigen. “Viele Menschen haben genug von der Ideenlosigkeit, der ganzen Hektik. Das ist gegen die menschliche Natur. Der Mensch hat heute keine Zeit für Erholung, das Nachdenken. Die Menschen sehen hier einen Raum, in welchem sie sich frei und wohl fühlen können. Hier gibt es kein Handy oder Fernsehen. Sie können zu einem Treffen oder Mittagessen kommen. Das sind zwei, drei Tage in einer Oase, in Mitte des rastlosen Lebens” – erklärt der Benediktiner Leon Knabit.

 
Foto aus dem Tyniec-Album 1939-2019 / Benediktinerverlag Tyniec

 

Tradition und der Fortschritt

Das bedeutet nicht, dass die Mönche von der Welt abgeschnitten sind. Sie nutzen den Fortschritt und die neuesten Errungenschaften der Technik wie jeder anderer. “Wir leben normal, nutzen den Fortschritt. Wir haben Aufzüge. Die ersten Bücher wurden in Tyniec bereits 30 Jahre nach der Druckererfindung  gedruckt. Ich habe einmal gesehen, wie ein Mönch ein Ornament mithilfe des Computers gemacht hat, es mit dieser Feder übertragen hat. Ich dachte mir, dass er früher sein ganzes Leben lang, diese Initiale gemacht hätte. Heute macht er dasselbe, aber wenn er seine Arbeit beendet und auf der Tastatur drückt, wird er 100 Exemplare sofort haben. Wir nutzen die Errungenschaften der Zivilisation und Kultur so viel, wie es uns nützt und den Personen, die zu uns kommen” – betont Pater Leon. 

Die Besucher, die das Leben der Abtei aus der Nähe kennenlernen wollen, können das breite Angebot des Klosters nutzen. In ihrem Rahmen haben sie die Gelegenheit, das Gästehaus (poln. Dom Gości) zu nutzen. Während des Aufenthalts im Gästehaus besteht für die Gäste die Möglichkeit, nicht nur das Leben der Mönche aus der Nähe kennenzulernen, sondern auch das Singen des gregorianischen Chorals zu erlernen. Die Besucher können an Kreativwerkstätten oder Exerzitien zu verschiedenen Themen teilnehmen, an einer geführten Besichtigung auf den Kreuzgängen teilhaben und sich die Geschichten über den Stift, deren Traditionen und Vergangenheit anhören. Aus den Fenstern des Gästehauses erstreckt sich eine prächtige Aussicht auf die Gegend, auf die sich am Fuße der Abtei schlängelnde Weichsel oder den klösterlichen Hof. Für Personen, die nach Stille und Erholung vom alltäglichen Leben suchen, eignet sich hervorragend der alte Flügel, der mit seiner Stimmung an die vergangenen Zeiten anknüpft. In seinem neueren Teil, der sog. „Großen Ruine” legt man wiederum Wert auf den Komfort und Bequemlichkeit.

 

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In der Welt der Bücher

Es ist schwer sich ein Kloster, insbesondere ein Benediktinerkloster, ohne eine Bibliothek vorzustellen. Die Sammlung in Tyniec hat genauso stürmische Zeiten erlebt wie die Abtei selbst. Die wertvollsten, geretteten Bände befinden sich derzeit in der Nationalbibliothek Polens. Ein Teil der alten Bücher ist in der Bibliothek des Priesterseminars in Tarnów geblieben, leider verbrannten viele Schriften während der Revolutionen von 1848/1849 in Lwiw/Lemberg, wohin die Büchersammlung verlagert wurde. Derzeit zählt die Bibliothek in Tyniec 60.000 Einzelbänder und ist komplett digitalisiert. In der Bibliothekssammlung findet man Publikationen aus der Dogmatik, Bibelkunde, des Geisteslebens, der Moraltheologie, Liturgiewissenschaft und Patrologie. 

In der Vergangenheit haben die Mönche selber Bücher geschaffen und abgeschrieben. Die Klosterbibliothek besaß im Moment der Auflösung ca. 5000 kostbare Bücher. Die wertvollsten stammen aus den Klöstern Frankreichs und Lothringen. Die Abtei besaß reich verzierte Handschriften u.a. die  von Flavius Josephus,  das Sacramentarium von Tyniec und zahlreiche liturgische Bücher. Das Sacramentarium gehört zu dem ältesten Werken und wird in der Nationalbibliothek aufbewahrt. Es besitzt wunderschöne, reich verzierte Miniaturen. Höchstwahrscheinlich entstand es in der Hälfte des 11. Jh. in der Kölner Malerschule, was von den lebendigen Kontakten mit Westeuropa zeugt, die Tyniec in der Vergangenheit hatte. Die Abtei besitzt auch wertvolle Inkunabel u.a. Werke antiker Autoren wie Cicero, Seneca und Katos.

Mit der Bibliothek ist auch ein Verlag verbunden. Die Benediktiner haben als erste in Polen die Ausgabe der sog. Monastischen Quellen unternommen. In diesem Jahr soll der 100. Band erscheinen. “Man hat alle alten Schriftsteller, seit dem 4./5. Jahrhundert angefangen, mit Erläuterungen herausgegeben. Unsere Leistung wurde sogar im Westen bemerkt, wo man sagte, dass Polen nachgeholt hat und auf diesem Gebiet an der Spitze ist. Man hat u.a. die Werke Augustinus von Hippo, Johannes Cassianus und die Philokalie herausgegeben” – zählt Pater Leon auf.

Die Abtei entwickelte sich auch in der Vergangenheit auf dem Feld der Kultur und Wissenschaft – aus der Initiative der Benediktiner in Tyniec hat man die erste Bibelübersetzung aus dem Original ins Polnische seit 350 Jahren herausgegeben. Heute ist sie als die Jahrtausendbibel (poln. Biblia Tysiąclecia) bekannt.

 
Foto: Ramona Nocoń

Eine Stunde Geschichte im Museum 

Die Besucher können die Geschichte der Abtei in dem sich im Kellergeschoss und Parterre befindenden Museum kennenlernen. Gezeigt wird u. a. die Ausstellung der Sehenswürdigkeiten und Artefakte, die während der Ausgrabungen im 20. Jh. gefunden wurden. Im Rahmen der Dauerausstellung kann man die ältesten Beispiele der Romanik in Polen bewundern, wie Kapitelle, Säulen und Bodenfliesenfragmente aus dem 13. Jh. Zu sehen ist auch eine Kopie eines einzigartigen Messkelchs und einer Patene, die bei den Ausgrabungen in den 60er Jahren des 20 Jh. entdeckt wurden. Mit pflanzlichen und geometrischen Ornamenten verziert, zählen die aus dem Mittelalter stammenden Kapitelle zu den wunderschönsten Beispielen des romanischen Stils in Polen. Die älteste Gruppe der Artefakte bilden die aus dem Neolithikum stammenden Werkzeuge und Gefäße aus Lehm, die mit einer der ersten Gruppen der Landwirte an der Weichsel verbunden sind und auch andere Hinterlassenschaften aus der Vorgeschichte Polens. Man darf auch die Handschriften, Inkunabeln und die sakralen Gegenstände nicht vergessen. “Es gibt die Möglichkeit einer Besichtigung in einer Fremdsprache, natürlich ist es am besten noch vor dem Rundgang Bescheid zu geben. Die Führung beginnt zu voller Stunde und ist in englischer, italienischer, französischer, russischer, spanischer und deutscher Sprache möglich” – erklärt der Mönch.

Die sich über der Weichsel erhebende Abtei in Tyniec lässt keinen kalt – macht neugierig als Gebäude, zieht wie ein Magnet die an, die sich nach Ruhe sehnen. Es öffnet seine Pforten für Touristen und Pilger. Fasziniert mit einer Jahrhunderte langen Geschichte und zieht mit einem attraktiven Angebot den heutigen Menschen an. Wenn man in Krakau ist, kann man unmöglich nicht, in die 15 km entfernte Abtei fahren. Hier kann man sich in seine außergewöhnliche Stimmung vertiefen und für einen Moment von der Hektik des Alltags aufatmen.

 

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