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Entführt ins Gut Greifenau

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Stellen Sie sich vor, dass Sie eine Zeitreise machen dürfen, und diese Sie ins 20. Jahrhundert versetzt – genauer gesagt, kurz vor den Ausbruch des 1. Weltkriegs. Sie betreten ein Landgut im ehemaligen Hinterpommern, welches heute in Polen als Westpommern funktioniert. Der alte Gutsbesitzer kommt bei einem Unfall ums Leben und die Familie muss sich selbst um alles kümmern und sich den kommenden Herausforderungen stellen. Diese sind nicht gerade irgendwelche – denn in ihnen manifestiert sich einer der größten gesellschaftlichen Umbrüche, die im Laufe der Geschichte stattgefunden haben. Denken Sie, dass es Sie nicht besonders angehen würde? Wir erlauben uns, zu zweifeln – denn wenn man einmal das Gut Greifenau betreten hat, ist man von seinen Bewohnern und seiner unsicheren Zukunft verführt, wenn nicht sogar entführt. Ein Interview mit Hanna Caspian.

 

Das historische Westpommern 

 

Emanuela Janda, PolenJournal. de: Frau Caspian, wir möchten unseren Leserinnen und Lesern die Gut Greifenau-Trilogie vorstellen. Erzählen Sie doch kurz, worum es dabei geht. 

Hanna Caspian: Gut Greifenau ist die Geschichte der Bewohner eines hinterpommerschen Landgutes. Dabei wird das Schicksal der Grafenkinder erzählt, aber auch das der Dienstboten. Die Greifenau-Trilogie kann man als typische Familiensaga bezeichnen. Sie spielt in den letzten Jahren des Kaiserreiches und in den chaotischen Jahren nach dem Sturz der Monarchie. Familiengeheimnisse, Lügen und Intrigen, Dienstbotengeflüster und Kriegserlebnisse, Standesdünkel und unerfüllbare Liebe werden mit historischen Fakten zu einer dramatischen und vielschichtigen Geschichte verwoben. 

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Die Familiensaga spielt im deutschen Hinterpommern, welches heute polnisches Staatsgebiet ist (Westpommern/Pomorze Zachodnie). Wieso?

Hinterpommern ist ein Ort, an dem die Risse in der deutschen Historie besonders deutlich hervortreten. >Alte Heimat< oder auch >vergangene Heimat< ist ein Thema, das im Hintergrund mitläuft. Schon früh war mir klar, dass ich meine Geschichte an einem vergangenen Ort spielen lassen wollte. Greifenau ist zwar ein fiktives Landgut mit einem fiktiven Dorf, aber es ist im Dreieck zwischen Stettin/Szczecin, Stargard und Pyritz/Pyrzyce verortet. Ich wollte unbedingt eine romantische und verzaubernde Kulisse für meine Geschichte. Deswegen gibt es auch immer wieder Ausflüge an die Ostseeküste, von den Drei Kaiserbädern bis nach Kolberg. 

 

Die Trilogie rund um das Gut Greifenau ist nicht Ihr erster historischer Roman. Wie kamen Sie aber auf diese Geschichte? 

Bei der Gut-Greifenau-Trilogie geht es letztlich um das Ende der Monarchie in Deutschland und wie es dazu kommen konnte. Über dieses Thema bin ich gestolpert, als ich für meinen Roman >Die Kirschvilla< zur „Fürstenenteignung“ recherchierte. Natürlich hat man das nackte Datum 9. November 1918 als Wendepunkt im Kopf. Doch erst während der Recherche über die Volksbefragung von 1926 zur Fürstenenteignung wurde mir bewusst, wie extrem schnell und wie folgenreich dieser Systemwechsel in der deutschen Geschichte war. Ich wollte wissen, was es dafür brauchte, dass die so mächtige Kaiser-Dynastie quasi über Nacht wegbrechen konnte. Daran waren viele Lügen, Intrigen und Machtspielchen beteiligt. Ich war elektrisiert. Darüber musste ich einfach schreiben. 

Bei “Gut Greifenau” muss man aber auch an “Downtown Abbey” denken. 

Das kommt nicht von ungefähr. Zur gleichen Zeit, als ich an der “Kirschvilla“ schrieb, wurde Downtown Abbey in Deutschland erfolgreich. Ich bin ein großer Fan der englischen Serie. Besonders gefallen hat mir der Ansatz, an einer einzelnen Adelsfamilie den Umbruch der gesamten Gesellschaft aufzuzeigen. 

Die Gut Greifenau-Trilogie hat ein ähnliches Konzept. Ich trete einen Schritt zurück und schaue mir die wichtigsten historischen Gegebenheiten der späten Kaiserzeit an. Natürlich hat die historische Entwicklung in Deutschland später einen ganz anderen Verlauf genommen als in Großbritannien. Dennoch wird die Familiensaga oft als deutsches Downtown Abbey bezeichnet.

 

Wie Sie schon bemerkt haben, Sie haben die Handlung an einem interessanten Wendepunkt in der Geschichte platziert.

Ich nenne Gut Greifenau auch die Kaisersturz-Trilogie. Ich nehme meine fiktiven Figuren und spiele sie gegen die Bande der realen geschichtlichen Geschehnisse aus. Nach diesen drei Bänden hat man eine Ahnung, warum das Kaiserreich stürzen musste. Dabei fängt alles ganz harmlos an. Kleinere familiäre Konflikte, die aber immer bedeutender werden. Band 1 beginnt in den letzten Jahren des deutschen Kaiserreiches, kurz nach dem letzten großen Treffen der europäischen Adelshäuser auf der Hochzeit der kaiserlichen Prinzessin Viktoria in Berlin. Band 3 endet am ersten Tag der Weimarer Republik. Der Umbruch ist vollzogen.

 

Wo sehen Sie den größten Charme der beschriebenen Zeitspanne?

Die späte Kaiserzeit ist „meine“ Zeit, in der ich mich besonders gut auskenne. Es ist eine Zeit des Umbruches, in jeder Hinsicht. Die Menschen hatten Ideen von Freiheit und Gleichheit, doch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schränkten Sie noch zu sehr ein. Dann kam der Erste Weltkrieg, zurecht die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts genannt, und mit ihm rasante Veränderungen. Während des Krieges ging es auch an der Heimatfront für große Bevölkerungsschichten ums nackte Überleben. Dann war der Krieg plötzlich verloren, der Kaiser wurde abgedankt, die Novemberrevolution brach aus. Über Monate wussten die Menschen nicht, ob sie am nächsten Morgen in einer demokratischen Republik, im Sozialismus á la Lenin oder vielleicht doch wieder in einer Monarchie aufwachen würden. Eine so spannende Zeit war für mich als Autorin von historischen Romanen einfach zu verführerisch.

 

Mussten Sie sich sehr umstellen, um in der 1. Hälfte des 20. Niemand braucht Angst zu haben, ein Geschichtsbuch lesen zu müssen. Bei meinen Romanen ist es mir immer wichtig, dass ich unterhaltsam und spannend bleibe. Dem muss sich alles andere unterordnen. – Hanna Caspian “ Jahrhunderts unterzutauchen? Beeinflusst es auf irgendwelcher Weise ihr Leben oder die Wirklichkeit, in der Sie leben?

Nein, eher nicht. Die wilhelminische Zeit ist die historische Ära, über die ich bevorzugt schreibe. Ich werde immer wieder gefragt, ob ich damals gerne gelebt hätte. Aber vielleicht gerade, weil ich so viel darüber weiß, wie die Menschen damals lebten, würde ich nicht gerne in dieser Zeit leben. 

Den Gedanken, dass früher alles besser war, kann ich so gar nicht bestätigen. Die Menschen mussten wirklich sehr hart körperlich arbeiten, die Dienstboten hatten Sechseinhalb-Tage-Woche mit täglich 12-16 Arbeitsstunden. Die Frauen waren von Bildung und jeglicher Selbstbestimmung weitestgehend ausgeschlossen. Und auch das Leben der wenigen Reichen, die adelige Schicht, war in ein so enges moralisches und standesbedingtes Korsett gepresst, dass niemand wirklich von persönlicher Freiheit reden konnte. 

Wenn es allerdings eine Zeitmaschine gäbe, mit der ich einen 14-tägigen Urlaub im Jahr 1913 buchen könnte – ich wäre sofort dabei. 

 

„Niemand braucht Angst zu haben, ein Geschichtsbuch lesen zu müssen. Bei meinen Romanen ist es mir immer wichtig, dass ich unterhaltsam und spannend bleibe. Dem muss sich alles andere unterordnen“ – Hanna Caspian

Ich finde es erstaunlich, wie viele Problembereiche sie in der Geschichte angesprochen haben. Solche wie Bildung, Frauenemanzipation, Gewalt und persönliche Freiheit sind weiter aktuell, obwohl sich schon so viel verändert hat.

Es gibt bestimmte Themen, die sich von dieser historischen Ära nicht trennen lassen: Das Wachsen der Sozialdemokratie, Frauenwahlrecht, Bildungsreformen, aber natürlich auch die Schrecken des Ersten Weltkrieges, der Steckrüben-Winter und all das Leid und die Folgen, die durch das Ende des Krieges ausgelöst wurden.

Ich wollte in Gut Greifenau die Gesellschaft im Wandel zeigen. Viele dieser Entwicklungen haben ihren Anfang schon Jahrzehnte früher im ausgehenden 19. Jahrhundert genommen, aber die deutlichsten Veränderungen zeigten sich eben erst in dieser späteren Phase. Und in einigen Bereichen hält dieser Wandel sogar bis heute an.

 

Ich muss die harte Arbeit an den Bänden erwähnen. Sie mussten Hunderte Stunden mit Recherchieren verbracht haben!

So ist es tatsächlich. Ich plane alles minutiös durch. Erst lese ich mich in den historischen Kontext ein. So entsteht für mich der große Überbau, der im Hintergrund mitschwingt. Und ich weiß danach, welche Figuren ich brauche, um bestimmte Themen zu besetzten. Mit der Recherche verfeinere ich dann die Geschichte. Erst entstehen grob die Kapitel. Wenn ich dann die einzelnen Szenen plane, muss ich tiefer in die Recherche zu einzelnen Teilaspekten einsteigen. Wenn meine Szeneneinteilung steht, beginne ich mit dem Schreiben. Währenddessen muss ich natürlich immer wieder Details nachrecherchieren, was häufig recht aufwändig sein kann. Aber niemand braucht Angst zu haben, ein Geschichtsbuch lesen zu müssen. Bei meinen Romanen ist es mir immer wichtig, dass ich unterhaltsam und spannend bleibe. Dem muss sich alles andere unterordnen.

 

Gibt es trotzdem Augenblicke – auch nach so genauer Recherche – dass man sich doch nicht sicher ist, ob man bei einem Detail hundertprozentig richtig liegt? Fühlten Sie sich auch unsicher?

Wenn ich einen bestimmten Aspekt in die Geschichte einfließen lassen will, recherchiere ich ihn gründlich. Wenn zum Beispiel Komtess Katharina von Auwitz-Aarhayn im August 1913 zu einer Rosenausstellung nach Forst in die Lausitz fährt, dann hat die zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort auch stattgefunden. Wenn ich bei der Recherche aber nicht die nötigen Details finde, bleibe ich auch im Text vage, wenn ich es nicht sogar ganz herausnehme.

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Figuren müssen leiden

 

Die historischen Ereignisse und die gesellschaftlichen Veränderungen beeinflussen das Leben auf dem Gut und damit auch die Entwicklung der Figuren. Gute Beispiele dafür liefern Katharina und Konstantin. Konstantin, der einsieht, dass bestimmte Lösungen veraltet sind und der auf die passende Frau in seinem Leben wartet. Katharina ist noch interessanter, da sie vieles am Anfang nicht mehr mit den Augen eines Kindes aber noch nicht mit denen einer Frau sieht…

Als ältester Grafensohn wurde Konstantin in der Tradition der ostelbischen Junker erzogen. Dem Heiratswünschen seiner Mutter verweigert er sich allerdings. Und sein Hang zu technischen Neuerungen stößt bei seinem Vater nicht auf Gegenliebe. Seine Privilegien als Grafensohn überdenkt er allerdings erst, als er sich in die sozialdemokratische Dorflehrerin verliebt. Zu Beginn der Geschichte steht Katharina, die jüngste Grafentochter, genau zwischen Kindheit und Erwachsensein. 

Nicht Fisch nicht Fleisch. Sie ist zwar willensstark, fällt aber häufig falsche Entscheidungen durch ihre naive Weltsicht. Besonders durch Katharina bekommen die Leserinnen und Leser einen Blick in die Lebensweise, in der die Adeligen auch Gefangene ihrer Herkunft waren. Immer wieder rennt Katharina gegen die Wände ihres luxuriösen goldenen Käfigs. 

 

Es gibt aber solche Figuren, die sich mit aller Kraft an die “Alte Welt” festklammern.

Oh, Sie meinen bestimmt Feodora. Ich liebe Feodora. Niemand verkörpert die Arroganz des Adels so gut wie Feodora. Ihre Figur zeigt so einen herrlichen Standesdünkel. Alle Leserinnen und Leser schimpfen auf sie, aber keiner möchte sie missen. Es geht immer hoch her, wenn Gräfin Feodora von Auwitz-Aarhayn die Szene betritt.

 

In Ihrem Roman führen Sie die Leser in alle “Ecken” des Guts – wir lernen sowohl die adeligen Eigentümer wie auch ihre Dienerschaft kennen. Das erzählte Spektrum ist wirklich breit.

Das Leben der Dienstboten wird ja von ganz anderen Dingen bestimmt, als das ihrer Herrschaften. Gut Greifenau ist eine klassische Upstairs-Downstairs-Story. Da gibt es oben die adelige Familie und unten ihre Dienstboten. Obwohl sie im gleichen Haus wohnen, könnte ihr Leben nicht unterschiedlicher sein. Genau das macht auch den Charme dieser Zeit aus. Dieses Auseinanderklaffen zwischen sehr reich und sehr arm bietet einer Autorin wirklich eine große Bühne für Verwicklungen und Konflikte aller Art.

 

Haben Sie einen persönlichen Liebling unter den Figuren?

Ich liebe und kümmere mich um jede einzelne meiner Figuren. Alle bekommen ihre eigenen Stärken und Schwächen, Vorlieben, Träume und Talente. Und jede meiner „guten“ Figuren hat auch eine dunkle Seite. Sie bekommen alle ihre eigene Geschichte und ihre eigene individuelle Perspektive auf die Welt, in der sie leben. Um eine Geschichte wirklich spannend zu machen, darf ich meine Figuren nicht schonen. Ich bin da nicht sehr pingelig. Jede Figur hat ihr eigenes Tal der Tränen, durch das sie hindurch muss. Und die LeserInnen begleiten sie durch all ihre Höhen und Tiefen.

 

Ich habe Sie vorher gefragt, ob es Ihnen schwergefallen ist, sich in der erzählten Zeit zurechtzufinden, dabei muss ich zugeben, dass man als Leser oft vergisst, dass man aus einem anderen Jahrhundert kommt… Ich meine die Fragmente, wo man so sehr die Figuren versteht, weil sie ähnlich empfinden und ähnliche Probleme wie heute haben. Aber da kamen auch die Stellen, wo wieder das Gefühl auftaucht: “O nein, gut, dass wir das schon hinter uns haben!”

Dieses Gefühl beschleicht mich am häufigsten bei medizinischen Fragen. Die damals alltägliche Gefahr, an simplen Krankheiten, im Kindsbett oder den Folgen von kleineren Unfällen zu sterben, haben wir heute weitestgehend gebannt. Da sind wir wirklich ein ganzes Jahrhundert weiter.

Auch wenn es darum geht, sich Informationen zu beschaffen oder zu Reisen ist die Diskrepanz zu heute besonders groß. Gerade in Hinterpommern kamen wichtige Informationen über politische Geschehnisse oft mit ein oder mehreren Tagen Verspätung an. Radio und Telefon setzte sich ja erst im Laufe der 20er Jahre durch. 

Andererseits … Liebeskummer, düstere Familiengeheimnisse, Konkurrenz unter Geschwistern, die Suche nach den eigenen Wurzeln oder die Sorge vor dem sozialen Abstieg … das sind ewige Themen. Darin finden sich viele von uns wieder.

 

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Schreiben als Prozess 

 

Der dritte Teil der Gut-Greifenau-Reihe ist dieses Jahr erschienen. Wie fühlen Sie sich, nachdem Sie die Geschichte zu Ende erzählt haben? Fällt es schwer, sich von den Protagonisten zu trennen? 

Ich schaue mit einem lachenden und einem weinenden Auge darauf. Auf der einen Seite haben die Figuren mich über mehrere Jahre begleitet. Sie sind mir ans Herz gewachsen. Auf der anderen Seite klappern die Schubladen meines Schreibtisches, in dem viele weitere Ideen darauf warten, endlich geschrieben zu werden. 

 

Wussten Sie von Anfang an, dass es eine so lange Geschichte wird?

Ja. Es war relativ schnell klar, dass ich ein umfangreiches Figurenensemble brauche, um die Geschichte zu schreiben, die ich schreiben wollte. Um jeder einzelnen Figur, die ja gleichzeitig auch jeweils mit einem bestimmten historischen Aspekt verbunden ist, genug Raum zu geben, brauchte es eben drei dicke Schmöker.

 

Nachdem “Gut Greifenau – Abendglanz” schon in die Hände der Leser übergeben wurde, arbeiteten Sie bestimmt noch an den weiteren Bänden. Machte Ihnen die Aufnahme des ersten Buches nicht Sorgen und beeinflusste so nicht den Schaffensprozess?

Ich muss immer darauf achtgeben, dass ich nicht Entwicklungen, welche die einzelnen Figuren durchmachen, vorwegnehme. Zum Beispiel habe ich an Band 2 von Gut Greifenau – Nachtfeuer – geschrieben, und währenddessen am Szenenaufbau von Band 3 – Morgenröte – gearbeitet. Dann flatterten mir noch die Fahnen des Verlages, also der allerletzte Korrekturdurchgang, von Band 1 – Abendglanz – ins Haus. Da muss ich dann vorsichtig sein, dass ich die stringente Figurenentwicklung nicht durcheinanderbringe. Zum Beispiel ist Katharina in Band 1 erst zwölf. Am Ende von Band 3 ist sie neunzehn Jahre alt. Dazwischen reift sie zu einer Frau. Da etwas durcheinander zu werfen wäre fatal. 

Romane schreiben ist Multitasking. Bücher haben ja einen mehrmonatigen Vorlauf von der Abgabe des Manuskripts bis zum Erscheinungstermin. Wenn die Aufmerksamkeit der LeserInnen am größten ist, also gerade, wenn das Buch frisch gedruckt ist, bin ich als Autorin schon ganz woanders. In der Regel mitten in einer neuen Geschichte mit neuen Figuren.

 

Mit ihrer harten Arbeit und Talent ist es ihnen gelungen, die Herzen vieler Leser für sich zu gewinnen. Viele Fans meinen, Sie haben sie ins Gut entführt. Gab es Momente, wo sie Druck fühlten, als Sie an den weiteren Bänden gearbeitet haben? 

Ja, ein wenig war das so. Als Band 1 Anfang November 2018 erschien und direkt in die SPIEGEL-Bestsellerliste einstieg, habe ich gerade die letzten Korrekturen für den dritten Band vorgenommen. Natürlich ändert sich dann der Blick auf das Manuskript: Ist das auch gut genug, um ebenfalls ein Bestseller zu werden? So war es dann gottlob: Band 3 hat sogar eine Top-Ten-Platzierung auf der begehrten SPIEGEL-Bestsellerliste bekommen. Aber in den Tagen vor der Veröffentlichung hab ich wirklich gebibbert.

 

Wie gehen Sie damit um? 

Letztendlich blende ich beim Schreiben alles andere aus. Ich kann nicht eine Geschichte schreiben und mich gleichzeitig auf jeder Seite fragen, ob das Buch ein Bestseller wird. Das Ergebnis einer solchen Arbeitsweise wäre vermutlich genau das Gegenteil. 

Wenn ich an einer Geschichte sitze, dann muss ich mich eigentlich nur fragen: Was braucht sie? Ist dieser oder jener Aspekt wirklich interessant genug, um ihn weiter auszuführen? Sind die Konflikte groß genug und tragen sie über einen langen Spannungsbogen? Und vor allem: Sind die Figuren tief genug gezeichnet? Gehen die LeserInnen mit ihnen mit? Leiden sie mit ihnen? Gedanken über die Verkäuflichkeit stören da nur. 

 

Eintauchen in andere Welten Ich habe gelesen, dass Sie sehr viel reisen. Haben Sie auch Westpommern besucht? 

Bis zur polnischen Grenze bin ich schon gekommen, aber leider noch nicht weiter. Es steht aber ganz dringend auf meiner Liste. Die polnische Ostseeküste ist einfach zu verlockend. Da ich aber mit meinen historischen Romanen vor allem in andere Zeiten reise, helfen mir historische Dokumente, Fotobände mit alten Bildern und Tagebüchern von damals oft mehr weiter, als es Besuche vor Ort könnten. Allerdings besuche ich mit Google Earth und Fotos auf Instagram immer die Spielorte meiner Bücher. 

 

Sie waren mehrmals in Australien. Da Sie auch einen Krimiroman geschrieben haben, musste ich an die Serie “Miss Fishers mysteriöse Mordfälle” denken. Kennen Sie die Roman- und Fernsehserie? War es vielleicht für Sie eine Inspiration? 

Meine Schreibkarriere begann im Bereich Krimi / Thriller. Doch das ist schon lange her. Ich kenne die Serie „Miss Fisher“, seit etwa zwei Jahren. Da war Gut Greifenau schon längst geplant und durchskizziert. Aber natürlich finde ich die Kombination aus spannender und dramatischer Geschichte, die in einer vergangenen Zeit spielt wie bei „Miss Fisher“, äußerst reizvoll. 

Zudem stammt die Familie meines Vaters – die Fischers! – selbst aus Niederschlesien, heute auch Polen. Da schließt sich ein ganz großer Kreis auf eine wunderbar charmante Weise.

 

Die Handlung von “Gut Greifenau” spielt in Hinterpommern (Westpommern), das jetzt zu Polen gehört. Ich finde, dass dies einer der Gründe sein könnte, weshalb die Reihe auch dem polnischen Leser gefallen könnte. Dachten Sie an eine Übersetzung ins Polnische?

Nur allzu gerne hätte ich eine Übersetzung ins Polnische. Das allerdings ist die Entscheidung der polnischen Verlage: Wollen sie die Geschichte einkaufen? 

Da gibt es bei den polnischen LektorInnen bestimmt noch Mal einen ganz eigenen Blickwinkel, der ihre Entscheidung beeinflusst. Wollen Sie einen Teil ihrer polnischen Geschichte aus einer deutschen Sichtweise heraus erzählt haben? Und würde das bei ihren Leserinnen und Lesern ankommen? Letztendlich ist es vor allem eine wirtschaftliche Entscheidung.

 

Wir leben in Zeiten, wo Fernsehserien sehr populär sind und die Produktionen auf einem hohen Niveau stehen. Gerade wird die polnische Romanserie “The Witcher” von Netflix verfilmt. Können Sie sich “Gut Greifenau” als eine Fernsehserie vorstellen?

Oh, “The Witcher” – ganz großes Kino! Natürlich kann ich mir auch Gut Greifenau sehr gut verfilmt vorstellen. Klar, dass es nur ein Mehrteiler werden kann. Nur leider schrecken deutsche FilmproduzentInnen oft vor historischen Stoffen zurück, weil es mit den Kostümen und den Drehorten bei historischen Stoffen immer direkt sehr aufwändig und teuer wird. Andererseits, Netflix hat bei Andrzej Sapkowskis großartiger Fantasie-Reihe ja auch tief in die Tasche gegriffen. Wer weiß, vielleicht in einer nicht allzu fernen Zukunft … 

 

Zu guter Letzt – was können wir von Ihnen in der Zukunft erwarten? 

Ich schreibe natürlich weiter, und ich bleibe dem historischen Genre treu. Derzeit sitze ich wieder an einer Trilogie, und es geht in die Weimarer Republik. Aber mehr möchte ich jetzt noch nicht verraten.

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