In Polen gibt es viele interessante Plätze, die sich mit einer außergewöhnlichen Geschichte rühmen können, aber im laufe der Zeit verfallen und in Vergessenheit geraten sind. Oft braucht man Zeit, viel Arbeit und Geld, um ihnen den alten Glanz wieder zu verleihen. Zum Glück gibt es noch Menschen, die sich dieser Herausforderung stellen und ihr bestes tun, damit diese Denkmäler auch für die kommenden Generationen erhalten bleiben. So war es auch im Fall vom ersten Sanatorium für Tuberkulosekranke der Welt. Dank der Stiftung In Situ soll die lang vergessene Perle Niederschlesiens wieder neu aufleben.
Der Kurort, der einen fast legendären Ruhm genießt, liegt im malerischen Ort Sokołowsko (Görbersdorf) in der Nähe von Wałbrzych (Waldenburg). Bei einer Anreise mit dem Auto ist er leicht zu übersehen, dadurch dass er von Bergen und Wäldern umgeben ist. Das Heilklima ist der geographischen Lage zusammen mit dem unberührten Mikroklima und der reinen Luft zu verdanken.
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Die Entstehungsgeschichte
Wann die Gegend um das heutige Sokołowsko besiedelt wurde, ist bis heute unklar. Es wird jedoch angenommen, dass der Ort von den Benediktinern aus dem tschechischen Broumov im Jahr 1357 gegründet wurde. Der Name Görbersdorf (Goerbersdorff) wurde in vielen Dokumenten durch die unmittelbare Nähe zur Ritterburg Radosno (Ferudenschloß) erwähnt. Eine der weniger verbreiteten Legenden besagt, dass Sokołowsko (Görbersdorf) seine Anfänge den Viehhaltern zu verdanken hat – bei der Weidensuche haben sie mitten im einstigen Sudetenurwald eine wunderschöne und fruchtbare Lichtung im Tal zwischen den Bergen gefunden.
Seit 1509 befand sich Görbersdorf im Besitz der damals reichsten Familie in Schlesien – den Reichsgrafen von Hochberg, die auch das Schloss Fürstenstein besaß.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhundert war die Ortschaft eher unauffällig. Das änderte sich aber im Jahre 1849, als die Gräfin Marie von Colomb, die Nichte des Feldmarschalls von Bücher, hier nach Erholung suchte. Die Aristokratin war überwältigt davon , was sie gesehen hatte. Wunderschöne Landschaft und frische Bergluft veranlassten sie dazu, das sog. Mühlengrundstück den Hochbergs abzukaufen. Nur ein Jahr später ist dank ihrer Initiative die Kaltwasserheilanstalt von Vincent Prießnitz, den Erfinder der Dusche entstanden. Kurz gesagt – die Gräfin hatte einen eigenen Businessplan entwickelt, den sie umsetzen wollte. Ihr Ziel war es, dass die Kurgäste nicht nur Görbersdorf, sondern auch die benachbarten Ortschaften besuchen. Leider ist es anders gekommen und der gewünschte Geschäftserfolg blieb ihr verwehrt. Die Anstalt der Gräfin erwies sich als unrentabel und die Gräfin selbst stürzte 1854 in Schulden und landete im Knast. Marie von Colomb überzeugte jedoch den Arzt Hermann Brehmer, die Anstalt für eine kleine Summe zu übernehmen. Ihr späterer Schwager sorgte für die Entwicklung des Objekts.
Das Sanatorium auf alten Postkarten aus der Sammlung von Poloniae Amici, polska-org.pl
Sanatorium für Tuberkulosekranke
Im Jahr 1859 wurde Brehmer die Genehmigung für ein Sanatorium für Tuberkulosekranke erteilt. Er entwickelte ein eigenes Konzept zur heilklimatischen Behandlung Lungenkranker. Die Genehmigung wurde ihm durch die preußische Regierung erteilt, vor allem durch das Engagement des Proffesors Johann Lukas Schönleins – des persönlichen Arztes von König Friedrich Wilhelm IV. An dieser Stelle muss man auch sagen, dass Tuberkulose (genannt auch Weiße Pest) seit Ende des XVII Jahrhunderts zu den gefährlichsten Krankheiten der Welt zählte. Die Ärzte wussten damals nicht, was die Krankheit verursacht und wie man sie behandelt. Brehmer lehnte die damals verbreiteten Behandlungsmethoden komplett ab.
Gemäß seiner Dissertation, hatte auf den Zustand der Lungenkranken der Aufenthalt in hoher Temperatur und das südliche Klima negativen Einfluss. Der Kern seiner Behandlungsmethode stellt die reine, frische Bergluft, an der es in Görbersdorf nicht mangelte, zusammen mit Atemübungen, Spaziergängen sowie einer Diät mit viel Fleisch, Milchprodukten und Gemüse. Kranke sollten fünf Mahlzeiten in regelmäßigen Zeitabständen an einem Tag verspeisen, um den Organismus zu stärken. Manchen Kranken wurde auch Kaltduschen empfohlen. Im benachbarten Blitzengrund (Ługowina) funktionierten damals bereits die ersten Duschen. So stelle auch dies kein Problem dar. Brehmers Behandlungsprinzipien basierten also auf dem, dass die Verfassung der Kranken naturell gestärkt wurde. Außerdem durften sich Patienten nicht in durchfeuchteten Räumen aufhalten. Interessant – die Kur konnte übers Jahr hinaus dauern, alles war jedoch von dem Bedarf und dem Geldbeutel des Patienten abhängig.
1874 wurde hier als Tuberkulosenkranke Professor Alfred Sokołowski eingeliefert, der nach seiner Genesung der Assistent von Dr Brehmer wurde. Der Pole gilt auch als einer der Pioniere in Sachen Lungenkrankheiten. Sokołowski hat auch viel für die Verbreitung des Wissens über Tuberkulose getan – er organisierte zahlreiche prophylaktische Aktionen. 1908 gründete er eine Gesellschaft zur Bekämpfung von Tuberkulose. Für die Anerkennung seiner Verdienste, wurde nach dem II. Weltkrieg der Ort von Görbersdorf auf Sokołowsko umbenannt.
Das Sanatorium auf alten Postkarten aus der Sammlung von Poloniae Amici, polska-org.pl
Ausbau des Sanatoriums
Nachdem Brehmer die Genehmigung erhalten hatte, startete er mit dem Ausbau der Kuranstalt. 1862 wurden die Pensionen „Weisse Haus“ und „Villa Rosa“ aufgebaut sowie ein Kurhaus. Die Bauten wurden von den bekannten deutschen Architekten Edwin Oppler entworfen. Neben der Kuranstalt hat man auch einige Wirtschaftshäuser eingerichtet sowie einen Waldpark, für den Brehmer höchstpersönlich zuständig war. Ab Mitte bis Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts entstanden noch der Wintergarten, die Bibliothek sowie der Turm und die Wohnung Brehmers – alle ebenfalls entworfen von Oppler. Die markanteste Baute der Kursstätte ist noch bis heute “Grunwald”, die stark an ein Schloss erinnert.
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Hervorragender Ruf
Eine Kur im Sanatorium war damals nicht gerade billig, doch mit dem ausgegebenen Geld bekam man auch einige moderne Bequemlichkeiten. 1888 funktionierte hier bereits ein Postamt mit Telegraf und Telefon. Die Brehmer’sche Heilanstalt wurde rege vom Hochadel benutzt. Nicht ohne Grund – Patienten wurden viel Unterhaltung geboten – beginnend beim Lesen von Büchern, durchs Domino- oder Schachspiel, bis zum Schießplatz oder Konzerten.
Viele Kranke haben nach der Kuration die Anstalt in einer viel besseren Verfassung verlassen. So erfreute sich das Sanatorium eines hervorragenden Rufes, der sich schnell in Europa verbreitete. Das bestätigen auch Reiseführer über Görbersdorf, die nicht nur in Deutschland, sondern u.a. auch in Budapest, Zürich, Wien, Warschau, Paris oder Sankt Petersburg zu finden waren. Anfang des 20. Jahrhundert konnte die Heilanstalt bereits knapp Tausend Krake unterbringen. Görbersdorf war so berühmt, dass der weltbekannte Lungensanatorium in Davos nach der Brehmer’schen Anstalt angeblich nachgebaut wurde. Deswegen bezeichnete man Görbersdorf als das schlesisches Davos.
Nachkriegszeit
Im laufe der Zeit verlor das schlesische Davos an Bedeutung zugunsten anderer Kuranstalten. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Görbersdorf immer mehr Richtung Wintersportort. Es entstanden zwei Skisprungschanzen (HS-60 m und HS-30 m) und eine Klimastation. Das Dorf blieb den Zerstörungen des II. Weltkriegs verschont. Nach seinem Ende war es erst im Besitz der Russen und später der polnischen Behörden.
Die Anstalt funktionierte immer noch, aber durch den Druck seitens von Dr Stanisław Domin, änderte sich das Behandlungsprofil. Man setzte stärker auf die Behandlung von Atemwegskrankheiten.
Leider war die Heilanstalt nicht ausreichend geschützt und verfiel immer mehr. In den 70ern wurde in Sokołowsko die Wintersportinfrastruktur ausgebaut. Auf dem Abhängen vom Mittelberg (poln. Średniak) errichtete man zwei Skilifte sowie eine zwei Kilometer lange Skirollerstrecke. Gleichzeitig wurden weitere Objekte des Sanatoriums devastiert u.a. der Kurpark mit den Pavillons und der älteste Teil der Anstalt wurde auseinandergenommen. Den vermeintlichen Schlussstrich zog der Feuerbrand, der von einem Feuerwehrmann aus der Freiwilligen Feuerwehr 2005 gelegt wurde. Damals dachten viele, dass dies endgültig den Untergang der einst weltbekannten Heilanstalt besiegelte…
Rettung durch die Stiftung In Situ
Nur zwei Jahre später lebte die Hoffnung wieder neu auf. Die einsturzgefährdeten Bauten kaufte die Stiftung für Gegenwartskunst In Situ (poln. Fundacja Sztuki Współczesnej In Situ), die 2004 von Künstlern und Kulturmanagern Bożenna Biskupska (Malerin, Bildhauerin, Performerin, Kunstmäzin) mit ihren bereits verstorbenen Ehemann Zygmunt Rytka (Fotograf, Filmemacher) und Zuzanna Fogtt (Kulturmanagerin, Kuratorin, Botschafterin für den Wiederaufbau des Sanatoriums) gegründet hatte.
Die Stifter wollten einen Platz schaffen, wo Kunstprojekte umgesetzt und Kultur-, Kunst- und Bildungsaktionen geführt werden könnten. 2007 wurde einstimmig das historische Objekt gekauft und die Stiftung nach Sokołowsko / Görbersdorf verlegt.
“Wir haben die Gebäude des ehemaligen Brehmer’schen Sanatorium zusammen mit dem Park und dem Lichtspieltheater für unsere Tätigkeit gewählt, denn dieser Komplex steht im Einklang mit künstlerischen Tätigkeiten, die mehrmals die Entstehung von Kunstobjekten oder musikalischen Projekten inspirierten”, versichert Bożenna Biskupska.
Internationale Festivals
Hauptziel der Stiftung ist der Wiederaufbau des historischen Sanatoriums und einrichtung eines Internationalen Kulturlabor zusammen mit einem Archiv, das den Werken des polnischen Regisseurs Krzysztof Kieślowski gewidmet ist. Der legendäre Filmemacher wohnte in Görbersdorf gegenüber dem Lichtspieltheater Zdrowie. Hier drehte der Regisseur seine ersten Dokumentarfilme, zusammen mit den berühmten Werk “Prześwietlenie”, das lungenkranken Menschen gewidmet war.
Seit acht Jahren wird im Sommer Sokołowsko ein ihm gewidmetes Filmfestival Hommage à Kieślowski ausgetragen, an dem viele Künstler teilnehmen, die mit Kieślowski zusammengearbeitet haben oder Personen und Künstler, die mit dem Festivalprojekt verbunden sind”, so Biskupska. Das Festival ist dementsprechend eine hervorragende Gelegenheit, um vielen bekannte polnischen Künstler und Filmemacher, wie u.a. Agnieszka Holland, Zbigniew Preisner, Krystyna Janda oder Katarzyna Figura begegnen kann. Im restaurierten Lichtspieltheater Zdrowie sowie unter freiem Himmel, können Gäste und Zuschauer an Projekten sowie Podiumsdiskussionen teilnehmen.
Die Stiftung veranstaltet auch ein internationales Festival, das der ephemerischen Kunst “Konteksty” gewidmet ist, und ein Soundfestival “Sanatorium Dźwięku”. So verwandelt sich der sonst stille und ruhige Ort im Sommer in ein lebendiges Kulturzentrum, mit Künstlern und Zuschauern aus aller Welt.
Renovierungsarbeiten, Foto: Stiftung In Situ
Wie geht es weiter mit dem Sanatorium?
Die Sanierung ist alles andere als eine leichte Aufgabe, denn der Zustand der Bauten erfordert vieler Renovierungs- und Konservierungsarbeiten und das erfordert wiederum einen hohen Kostenaufwand. Dank der Stiftung In Situ sowie vielen Personen, denen dieses Denkmal am Herzen liegt, konnte man bereits neue Decken und Dächer einbauen und unabdingliche Mauerarbeiten durchführen.
“Der ganze Komplex steht unter konservatorischer Aufsicht und erfordert auch verschiedener Projektmaßnahmen. All diese Tätigkeiten brauchen großer finanzieller Mittel, die die Stiftung durch Zuschüsse gewinnt. Wir führen auch eine 1%-Kampagne und gewinnen Spenden. Die Unterstützung anderer Personen und Institutionen ist eine Bestätigung und Belohnung für die Anstrengungen rund um das Denkmal, seinen historischen Wert und die Tätigkeit der Stiftung im Kunstbereich. Wir danken allen für die Unterstützung und laden alle, diesen Ort kennenzulernen und sich in ihm zu verlieben”, sagt Biskupska.