Allein im Mai wurden rekordverdächtige 3,4 Millionen Tonnen Rohöl und Treibstoffe aus 41 Tankschiffen über den Danziger Naftoport transportiert. Ein Teil dieser Ladung ist für Lieferungen an ausländische Kunden bestimmt, darunter auch an deutsche Raffinerien. Nachdem die Lieferungen aus Russland über die Ölpipeline abgeschnitten wurden, ist Polen für sie das wichtigste Tor.
Der polnische Hafen an der Ostsee hat sich zu einem wichtigen Ölterminal für die Region entwickelt. Durch Naftoport in Danzig/Gdańsk wird der Raffineriebedarf sowohl Polens als auch der nächsten Nachbarn gedeckt. Nach Angaben des Unternehmens flossen im Jahr 2022 24,5 Millionen Tonnen Rohöl und Fertigprodukte in Form von Kraftstoffen durch das polnische „Tor des Nordens“. Insgesamt liefen 363 Tanker am polnischen Kai an.
Mit der Verdrängung russischer Rohstoffe aus Europa gewinnt Polen als wichtiger Umschlagplatz an der Ostsee an Bedeutung. Das Embargo gegen russisches Öl und die Angst vor der Zerstörung der oberirdischen Transportinfrastruktur während der Militäroperationen in der Ukraine haben andere Länder dazu veranlasst, auf Seelieferungen umzusteigen und so den Rohstoffeinkauf auf diesem Weg sukzessiv zu steigern.
Den neuesten Daten von Naftoport zufolge war der Mai ein Rekordmonat in Bezug auf die Umschlagtonnage. Es wurden bis zu 3,4 Millionen Tonnen Rohöl und Treibstoffe aus 41 akzeptierten Tankschiffen über den Danziger Hafen transportiert.
“Naftoport in Danzig/Gdańsk bricht seit Monaten Rekorde bei Öl- und Treibstoffimporten – im Mai wurden 3,4 Millionen Tonnen Rohöl und Treibstoffe importiert, der höchste Wert in der Geschichte des Hafens – 40,8 Millionen Tonnen pro Jahr. Das ist mehr als der Bedarf aller polnischen Raffinerien, der auf ca. 27 Millionen Tonnen geschätzt wird. Dies bietet die Möglichkeit, importiertes Öl zu exportieren und erhöht die Versorgungssicherheit der Nachbarn, darunter auch Deutschland”, erklärt Kamil Lipiński vom Polnischen Wirtschaftsinstitut.
Polnisches Tor statt russischem Rohr
Polski Naftoport verfügt über die technischen Möglichkeiten, den heimischen Markt mit dem notwendigen Öl aus dem Meer zu versorgen. Eine Ölpipeline verbindet ihn mit den Raffinerien Danzig/Gdańsk und Plock/Płock. Das Rohrnetz bietet aber auch viel größere Möglichkeiten, um den Rohstoff auch in die Nachbarländer zu liefern.
Das polnische „Tor zum Norden“ ist für Deutschland zu einem besonders wichtigen Öl-Fenster geworden. Die Raffinerien Schwedt und Leuna, die auf der Verarbeitung des russischen Uralöls basieren, mussten eine Alternative finden, als die Lieferungen aus dem Osten unterbrochen wurden. Die Wahl fiel auf Danzig/Gdańsk.
Diana Heuer, verantwortlich für die Kommunikation bei TotalEnergies, dem Eigentümer der Raffinerie in Leuna, teilte mit, dass das Werk den Bezug von russischem Öl Ende 2022 komplett eingestellt habe und derzeit kein Rohöl mehr aus Russland verarbeite.
“Rohöl wird nun auf dem internationalen Markt eingekauft und per Tanker oder Frachtschiff zum Hafen Danzig an der polnischen Ostseeküste transportiert, statt direkt per Pipeline aus Russland. Vom Danziger Hafen wird Rohöl über eine etwa 1.000 Kilometer lange Pipeline zur Raffinerie in Leuna gepumpt.”, berichtet sie weiter.
Leuna, das 12 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet, ist nicht die einzige Raffinerie in Deutschland, die ihre Rohstoffversorgung auf dem polnischen Hafen- und Transportnetz stützt.
Laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Deutschlands bleibt Danzig/Gdańsk eine wichtige Lieferrichtung für diese Anlage. Das Ministerium übt eine Kommissionsaufsicht über den Mehrheitsaktionär der Raffinerie Schwedt, der russischen Rosneft, aus.
Bisher verarbeitete die Raffinerie Schwedt russisches Rohöl, das über die Ölpipeline „Druschba“ transportiert wurde. Ähnlich dem, das auch von polnischen Werken verarbeitet wird. Nach der Einführung der Sanktionen musste eine neue Richtung gefunden werden, und hier wurde auf Polen und insbesondere auf Danzig/Gdańsk gesetzt.
“Die PCK-Raffinerie arbeitet stabil mit auf dem Weltmarkt gekauften Rohöl, das über drei Lieferrouten geliefert wird – den Hafen von Rostock, den Hafen von Danzig und kasachisches Öl über das polnische Pipelinesystem”, teilte das deutsche Ministerium mit.
Polnische Ölambitionen
Deutsche Raffinerien unterstützen die Position des Danziger Hafens als Öl-Hub. Man könnte sich fragen, warum, wenn man einen eigenen Ölhafen in Rostock und nicht weniger ehrgeizige Ambitionen beim Aufbau von Energie-Knoten für diesen Teil des Kontinents hat.
Rostock kann nur Tankschiffe mit einer Tragfähigkeit von bis zu 100.000 Tonnen abfertigen und seine Überladungskapazität beträgt etwa 6.000 Tonnen pro Stunde. Jährlich fließen über ihn durchschnittlich 2,45 Millionen Tonnen Flüssiggüter. Der Hafen ist daher zu klein, um den Bedarf von Schwedt und Leuna zu decken.
Man sollte sich auch daran erinnern, dass Deutschland gerade erst die Pipeline Rostock-Schwedt, die den Hafen mit der Raffinerie verbindet, ausbaut. „Außerdem wurden im Januar Durchflusserhöhungsgeräte, welche die Kapazität der Pipeline um etwa 5 bis 10 % erhöhen, eingesetzt. Um diesen Versorgungsweg zu stärken, wird die Pipeline mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung ausgebaut“, so das Bundesministerium Wirtschaft und Klimaschutz.
Mittlerweile wurden im polnischen Naftoport bereits vor der Erweiterung im Jahr 2020 40 Millionen Tonnen pro Jahr umgeschlagen. Vier zusätzliche PERN-Kraftstofftanks wurden erbaut, um die Kapazitäten des Danziger Ölterminals zu erweitern. Dank ihnen ist die Treibstofflagerbasis um fast 550.000 Kubikmeter Kapazität gewachsen. Im September 2021 wurde der letzte Tank mit einem Fassungsvermögen von 45.000 m3 in Betrieb genommen.
Im März wurden am Naftoport-Terminal mehr als 300 Millionen Tonnen Rohöl und flüssige Brennstoffe umgeschlagen.
Polen profitiert vom Embargo
Dass die Unterbrechung der russischen Lieferungen für Polen zu einer Chance geworden ist, seine Position in der Ostsee zu stärken, wird auch von der deutschen Presse wahrgenommen. Wie die „Berliner Zeitung“ schrieb, will Polen das EU-Embargo gegen Russland ausnutzen.
„Erklärtes Ziel des staatlichen Ölkonzerns PKN Orlen ist es, Russland als Hauptlieferanten von Rohöl für Mittel- und Osteuropa abzulösen. Polen verfügt über die notwendige Infrastruktur, geeignete Lieferanten und genügend Treibstoff, um die Kontinuität der Ölversorgung für die Region zu sichern“, lobte die deutsche Tageszeitung.
“Obwohl die zunehmende Nutzung von Naftoport infolge der Sanktionen gegen russisches Öl für Polen und Europa von Vorteil ist, ist sie auf die russische Invasion in der Ukraine zurückzuführen, deren Kosten zumindest für mindestens eine Weile vom polnischen und europäischen Energiesektor getragen werden müssen.” – betont Kamil Lipiński, Analyst des Wirtschaftsinstituts.
“Die Last, welche die Länder der Gemeinschaft tragen müssen, werden sowohl Hilfsprogramme für geschützte Empfänger als auch höhere Preise und Kosten für den Infrastrukturausbau sein” – zählt der Experte auf.
Mehr als ein Jahr Krieg hat die Energiekarten der Welt drastisch verändert. Durch die bilateralen Sanktionen verlor Russland einen Markt, der täglich fast 2,5 Millionen Barrel Öl aufnahm. Das Embargo für Seetransporte von Öl, Treibstoffen und Erdölprodukten sowie Preisbeschränkungen für Lieferungen in Drittländer kosten Russland bereits ein Vermögen. Allerdings zwangen sie die EU-Länder auch dazu, ihre Lieferanten und Rohstoffflussrouten zu ändern.
Quelle: money