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Von den Verstorbenen trennt uns nur die Zeit – Die Schädelkapelle von Czermna

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Die Schädelkapelle von Czermna

Sie lockt heran, ruft Unheimlichkeit hervor, bringt zum Nachdenken. Dieses einmalige Werk der religiösen Kunst ist ein besonderes Bild der Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit des Menschen. Über die Schädelkapelle in Czermna erzählte PolenJournal.de der Reiseführer Sławomir Stasiak.

Robert Dethloff [PolenJournal.de]: Wieso ist die Schädelkapelle überhaupt entstanden? Warum gibt es so viele Menschenknochen gerade an diesem Ort?

Sławomir Stasiak: Laut einer Legende liegt die Ursache des Baus der Kapelle in einem Geschehen: beim Spaziergang über den Friedhof, bemerkte der Pfarrer der Pfarrei des heiligen Bartholomäus, der Priester Tomaszek und späterer Schöpfer der Kapelle, wie Hunde menschliche Knochen von einem nahe gelegenen Hang ausbuddelten. Es stellte sich heraus, dass es eins von vielen Gräbern war, welche sich auf dem Gelände befanden, dieser Anblick war für den Pfarrer das erste Vorzeichen, dass auf den nahe gelegenen Feldern oder Wäldern menschliche Knochen liegen. Das Glatzer Ländchen war ein ewiger Kriegsschauplatz. Durch diese Gebiete wanderten verschiedene Armeen. Im 15. Jahrhundert waren es Hussitenkriege, im 17. Jahrhundert der Dreißigjährige Krieg, aber vor allem geht es um die Opfer der Kriege im 18. Jahrhundert, also der sogenannten Schlesischen Kriege, die zwischen Preußen und Österreich stattgefunden haben. Man muss sich dessen bewusst sein, dass der Durchmarsch der Militärtruppen, aufgezwungene Kontributionen sowie schlechte Hygienebedingungen dazu führten, dass hin und wieder Seuchen, welche die lokale Bevölkerung dezimierten, ausbrachen. So war es im Jahr 1680, als die Choleraseuche einen hohen Tribut an Menschenleben forderte. Einige Ortschaften des Glatzer Ländchen wurden sogar zu 80% ausgelöscht. Laut einigen Chronisten soll es zu Situationen gekommen sein, wo es an lebenden Menschen gefehlt hat, um die Verstorbenen zu begraben und die, welche beerdigt wurden, hat man schnell in Sammelgräbern beerdigt. Diese wurden aber in niedriger Tiefe begraben, sodass sie mit der Zeit auseinandergefallen sind. Regen und Schnee spülten die Erde weg, die Knochen gelangten an die Oberfläche und wurden oft von Hunden oder wilden Tieren durch Felder und Wälder getragen.

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Wurden in diesen Gräbern vor allem ärmere oder auch wohlhabende Menschen beerdigt?

Das waren einfache Bürger, Durchschnittsmenschen. Vor allem preußische und österreichische Soldaten, aber auch Soldaten der Infanterie, die an den Schlesischen Kriegen teilnahmen, welche infolge eines Konflikts zwischen dem preußischen König Friedrich II. und Maria Theresia, die auf dem österreichischen Habsburger-Thron saß, entstanden. Zum Konflikt sind noch das Zarentum Russland und später Frankreich und England beigetreten und so wirklich wissen wir nicht, wer in den Gräbern liegt. Bestimmt waren es einfache Durchschnittsmenschen, einheimische Bürger und Soldaten, die auf den Gebieten kämpften und sogar aus weiten Ecken der Welt kamen.

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Also sind die Knochen und Schädel nicht identifiziert?

Ja, das sind sog. nomen nominandum, also unbekannte Personen. Dennoch können wir über einige genau sagen, wem sie gehörten, denn es sind Schädel und Knochen auf dem Altar ausgestellt, welche sich in irgendeiner Weise von den gefundenen oder ausgegrabenen unterscheiden. Da liegt u.a. ein mit einem weißen Kreuz gekennzeichneter Schädel. Er gehörte dem Totengräber Langner, einem guten Freund und Helfer von Pfarrer Tomaszek, der ihn bei dieser bemerkenswerten Arbeit unterstützte. Der Schädel wurde gekennzeichnet, damit er nicht verloren ging. Langners Wunsch war es, dass sein Schädel nach dem Tod in dieser Kapelle bleibt. Einen ähnlichen Willen äußerte Pfarrer Tomaszek. Sein Schädel befindet sich auch hier, aber leider wissen wir nicht, welcher es ist, weil er in diesen 200 Jahren irgendwo verloren gegangen ist. 

Über zwei Schädel können wir auch noch sagen, wem sie gehörten, nämlich dem damaligen Ortsvorsteher von Czermna – Martyniec und seiner Frau. Mit ihnen ist eine tragische Geschichte verbunden. Während des Siebenjährigen Kriegs wurde Martyniec von preußischen Soldaten wegen Betrugs, welchen er begann, erschossen. Er hat den österreichischen Soldaten einen Geheimgang durch das Labyrinth Wilde Löcher/Błędne Skały gezeigt. Als er zum Hinrichtungsort geführt wurde, versuchte seine Frau ihn zu retten. Dabei schlug sie einer der preußischen Offiziere mit einem Säbel in den Kopf. Dieser Schlag war tödlich, und der Ehemann wurde trotzdem hingerichtet. Eine der Kugeln traf ihn in den Kopf und zerstörte die Gesichtspartie.

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Kommen wir noch einmal zum Pfarrer Tomaszek zurück. Welche Rolle spielte er beim Kapellenbau und wie viele Jahre dauerte es, bis sie fertig war? 

Pfarrer Tomaszek kam nach Czermna im Jahr 1740. Ein Jahr vor dem Bau der Kapelle besuchte er die ersten christlichen Gräber, also römische Katakomben. Sie hinterließen bei ihm so einen starken Eindruck, dass er nach der Rückkehr beschloss, eine Kapelle nach dem römischen Vorbild zu errichten, um einen Ort der letzten Ruhestätte zu schaffen. Eine Ruhestätte für viele Tausende namenlose Menschen. Er wollte auch den Nachkommen die Botschaft Memento mori hinterlassen, auf Deutsch – sei dir der Sterblichkeit bewusst. Die Kapelle wurde 1776 fertiggestellt, aber erst nach 8 Jahren, also ab 1804 wurde sie den Besuchern zur Verfügung gestellt. Natürlich nicht so vielen wie heutzutage, aber in einigen Quellen können wir lesen, dass die Kapelle fast 28 Jahre lang gebaut wurde. 8 Jahre und 28 Jahre klingt korrekt. Woher kommt das? Solange Pfarrer Tomaszek lebte, sammelte und fügte man dort 20 Jahre lang Schädel hinzu, also ist 8 und 28 die richtige Zahl.

Wurde die Schädelkapelle in Czermna einer anderen ähnlichen Kapelle nachempfunden?

Ehrlich gesagt, gibt es keine gleiche Kapelle, denn wenn wir durch die Welt reisen, können wir Gräber der ersten Christen finden, also sog. römische Katakomben. In Kuttenberg/Kutná Hora sogar mit einer großen zweistöckigen Kirche, in der Knochen als Baumaterial verwendet wurden, aus denen Kronleuchter, Wappen, Monstranzen, Girlanden und andere Leuchter gefertigt wurden. In Czermna ist die Kapelle mehr pro sacrum, dort mehr pro fanum, daher ist es schwer zu sagen, was Tomaszeks Inspiration war oder ob es nur seine Idee war.

Zwischen den Schädel in der Kapelle befinden sich zwei Engel: der eine hält eine Trompete, der andere eine Waage. Ist das eine besondere Symbolik? Gibt es noch weitere Symbole?

Natürlich. Die Engel sollen uns an unsere postmortale Verantwortung für das Leben, das wir gelebt haben, erinnern. Der Engel, der die Trompete in der Hand hält, wird irgendwann in sie pusten und das wird das Zeichen für die Auferstehung sein, um danach vor dem zweiten Engel mit der Waage zu stehen, der unsere guten und bösen Taten wiegt. Möge es so viele guten Taten in unserem Leben geben wie möglich. Unter diesen Engeln befinden sich Kartuschen und Inschriften in tschechischer und lateinischer Sprache. Und dann gibt es noch die Symbolik des Altars und des Gekreuzigten Jesus Christus – im Kreuz liegt das Leiden, aber auch die Erlösung. Der Herr Jesus ist von den Toten auferstanden und erinnert die Gläubigen daran, dass auch sie eines Tages von den Toten auferstehen werden.

Wie wurden die Knochen vorbereitet, damit sie in der Kapelle aufgestellt werden konnten?

Kurz gesagt war es eine ziemlich mühsame und uninteressante Arbeit, denn diese Knochen wurden von Feldern und Wäldern gebracht. Sie mussten gereinigt werden, also wurden sie im Kirchplatz in einer Lösung aus schwarzer Lauge gekocht, das heißt, Eichenholzkohlenasche wurde in kochendes Wasser hineingelegt und gekocht. So entstand eine Base und auf diese Weise wurden die Knochen gereinigt und auch imprägniert, in der Sonne getrocknet und erst dann aufgestellt.

War die Idee, ein Kapellen-Ossuarium zu bauen, umstritten?

Solche Orte entstanden zu jeder Zeit und daran war nichts außergewöhnlich. Natürlich brauchte Pfarrer Tomaszek das Einverständnis der kirchlichen und zivilen Behörden. Er musste auch einen Sponsor für den Bau der Kapelle finden. Den Stein und den Kalk spendete der damalige Gutsbesitzer Graf Leopold von Leslie, der beim Bau der Kapelle half. 

Und hat diese Art von religiösen Objekten das Entstehen ähnlicher Objekte beeinflusst?

Das kann ich nicht beurteilen, denn die Kapelle entstand im 18. Jahrhundert. Ob später noch weitere ähnliche entstanden sind, weiß ich nicht, denn auf diesem Gebiet in Polen ist es der einzige Ort dieser Art. In Europa gibt es auch nicht viele religiösen Objekte dieser Art, denn es gibt welche hinter der Grenze auf der tschechischen Seite, in Portugal, in Österreich, in Halmstadt, aber jeder dieser Orte hat einen anderen Charakter und wurden aus unterschiedlichen Gründen gebaut.

Was zieht Touristen in die Schädelkapelle an? Welche Gefühle ruft sie hervor?

Anlockend ist schon die Anzahl der Schädel und Knochen, denn in der Kapelle befinden sich ungefähr 24 bis 30 Tausend menschliche Überreste. Natürlich sind das nur geschätzte Zahlen, denn keiner hat es nachgezählt. Oft sind Gäste, die nach Czermna kommen, neugierig, was sich tatsächlich im Inneren befindet. Sie wissen, dass sich dort menschliche Knochen befinden, aber dennoch möchten sie hineinschauen und gucken, wie sie aussehen. Einige sind aber skeptisch beim Herausgehen aus der Kapelle und sagen, dass es unmöglich ist, dass es menschliche Knochen sind. Sie sind der Meinung, dass es sich um Plastikabgüsse handelt. Es gibt Menschen, die dort oft beten, die nach dem Verlust eines geliebten Menschen weinen, die von einem solchen Ort bewegt sind, und es gibt auch Menschen, die in die Kapelle nicht hineinschauen können. Angst… es ist schwer zu sagen, was in ihnen steckt, das ihnen Angst macht, einzutreten. 

Wie viele Touristen besuchen jährlich die Kapelle?

Sehr viele, denn es kommen zu uns Gäste aus der ganzen Welt. Es sind nicht nur polnische Touristen, aber auch Menschen aus ganz Europa und den entferntesten Ecken der Welt: Singapur, Japan, USA.

Wie sieht der Touristenverkehr in Zeiten der Pandemie aus? Gibt es überhaupt die Möglichkeit einer Besichtigung?

Ja, es gibt diese Möglichkeit, denn die Kapelle ist kein Museum. Es ist ein Kultobjekt, somit ist sie offen. Im Winter zwar etwas kürzer, aber durch die Einhaltung der Hygienevorschriften werden viel weniger Menschen hineingelassen. Jedes Mal werden die Hände desinfiziert und das Tragen einer Maske ist obligatorisch.

Finden in der Kapelle Gottesdienste statt?

Ja, einmal im Jahr vom 14. auf den 15. August um Mitternacht, also dem Vorabend der Mariä-Aufnahme in den Himmel, wird in der Kapelle ein Gottesdienst für die Verstorbenen, dessen Knochen hier ruhen und nahe Verwandte, die tragisch ums Leben gekommen sind oder Suizid begannen, abgehalten. Außerdem gibt es jeden Mittwoch nach der Abendmesse eine Prozession zur Schädelkapelle und ein Gebet für die im Fegefeuer leidenden Seelen.

Wie sieht die Konservierung eines solchen Ortes aus?

Abgesehen von den Aufräumungsarbeiten, d.h. das Abputzen von Staub und Spinnweben durch die betreuenden Nonnen, findet eine Konservierung nicht mehr statt.

Sind mit der Schädelkapelle irgendwelche Geheimnisse verbunden?

Es ist ein besonderer Ort. Er soll uns daran erinnern, dass uns und die Verstorbenen nur noch die Zeit trennt, denn auch diese Menschen hatten ihre Träume, Wünsche, kämpften miteinander, hassten sich. Heute ruhen sie nebeneinander, keiner streitet mehr, der Tod hat sie alle versöhnt. Dieser Ort verleitet uns zu einem kurzen Zwischenstopp, um über verschiedene Sachen nachzudenken, denn egal woher wir kommen, welche Ansichten wir haben, welcher Religion wir angehören, im Angesicht des Todes sind wir alle gleich.

Dieser Artikel stammt aus dem PolenJournal-Magazin (Onlineausgabe 1/2021) 

 

 

 

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