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Zwischen Gott und der Gegenwart. Podlachiens Heilkunst bleibt lebendig

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Gekleidet in Schürzen und Kopftücher sehen sie wie jede durchschnittliche Oma und Babcia aus. Doch zu den alltäglichen Menschen gehören sie mit Sicherheit nicht. Szeptuchy helfen nämlich Hunderten von Menschen, welche sich mit ihren Problemen an sie wenden. Wer sind sie jedoch in Wirklichkeit? Und haben sie tatsächlich die Gabe des Heilens?

Im Internet kann man leicht Geschichten von Menschen finden, welche in schwieriger, oftmals hoffnungsloser Situation und unabhängig davon, ob sie gegen ein psychisches oder physisches Problem kämpften nach Podlachien reisten, um Hilfe zu suchen.  Doch wieso reisen sie nach Podlachien? Dort leben nämlich Personen, die niemandem Hilfe verweigern – Szeptuchy. Für manche Heilerinnen, für andere herkömmliche Großmütter. Skeptiker sind der Meinung, dass es Betrügerinnen sind. Kranke und Verzweifelte sehen sie als den letzten Rettungsanker an. Wer sind sie jedoch in Wirklichkeit? “Szeptuchy sind traditionelle Volksheiler aus Podlachien, also Spezialisten der lokalen Medizin, dessen Aufgabe die Verwandlung eines Kranken in einen Gesunden ist. Sie nutzen dabei traditionelle Methoden, welche sich hier in diesen Menschen entwickelt haben und welche auf bestimmte  Traditionen zurückgreifen”, erklärt Magłorzata Anna Charyton, Ethnologin, Medizinanthropologin und Naturforscherin, welche sich seit Jahren mit dem Thema der Volksheilerinnen beschäftigt. 

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Szeptuchy kann man nicht auf dem ganzen Gebiet Polens antreffen. Sie leben nur in Podlachien. Ihre Praktiken und Traditionen sind Teil der lokalen Kultur und eingeborenen, von Ruthenen abstammenden Gemeinschaften, welche bis heute den Osten von Podlachien bewohnen. Hier bildete sich das weißrussische und ukrainische Nationalbewusstsein. Und Einheimische haben diese Wurzeln nicht vergessen, halten an ihrem kulturellen Erfahrungsschatz fest, welcher unter anderem aus der medizinischen Tradition, also der  Volksmedizin, aber auch besonderer Religion und Sprache besteht, weil sie alltäglich in Dialekten sprechen, welche von der weißrussischen und ukrainischen Sprachen abstammen. 

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“Wenn man über das Thema Szeptuchy nachdenkt, sollte man darauf achten, dass man über eine andere Kultur und Medizin spricht. Über die Medizin einer anderen sozialen Gruppe, welche ihr eigenes System des Verständnisses von Gesundheitsproblemen und ihre eigenen Lösungen dafür hat. Die Nutzung eines westlichen Medizinsystems setzt uns Fehlern, Unverständnis, und Verwirrung  aus”, betont die Anthropologin. 

Eine normale, doch außergewöhnliche Großmutter

Man könnte annehmen, dass Szeptuchy wegen ihrer besonderen Rolle in der lokalen Gemeinschaft, anders als andere aussehen, hervorstechen. Das liegt man jedoch komplett falsch! Szeptuchy sehen in den meisten Fällen wie unsere Großmütter aus, gekleidet in eine Schürze und Kopftuch kümmern sie sich in ihrer Freizeit, um den Haushalt und Garten. Aus den Untersuchungen von Małgorzata Anna Charyton folgt, dass ihr Altersdurchschnitt ungefähr 80 Jahre beträgt! Wieso so hoch? “Man muss eine ältere Person sein. Wenn es um Frauen geht, folgt es daraus, dass sie rein sein müssen, weil Heilen auch Reinigen bedeutet. Und wann ist eine Frau rein? Nach der Menopause. Daraus folgt das fortgeschrittene Alter der meisten weiblichen Szeptucha. Es muss jedoch keine Frau sein, manchmal schlüpfen auch Männer in diese Rolle ein. Meistens sind es jedoch Frauen, da sie für das Kümmern und die Körperschöpfung  verantwortlich sind. Aber manchmal kommen auch Männer in dieser Rolle vor. Sie werden sogar als stärkere Heiler gehalten. Das folgt daraus, dass die lokalen, traditionellen Gemeinschaften immer noch ein sehr starkes Element des Patriarchats aufweisen. Männer legen die Regeln fest und werden als wichtigere Mitglieder wahrgenommen. Wenn sich also ein Mann ans Heilen heranmacht, wird er mehr dafür geschätzt. Außerdem erscheint alles, was seltener ist, als attraktiver. So erfreuen sich männliche Heiler eines größeren Interesses”.

Wenn sie fühlen, dass ihre Zeit kommt, und sie bald nicht mehr anderen helfen könnten, übergeben Szeptuchy ihr Wissen, die Pflicht und Rolle anderen Personen. Dieses Geschenk Gottes muss nämlich weiter leben. Meistens wählen sie dafür ein Familienmitglied. Dieser Beruf wird nämlich von Generation zu Generation weitergeleitet. Leider wollen heutzutage die Familienmitglieder nicht immer diese schwere Verpflichtung übernehmen. “Eine Szeptucha sucht vor allem nach einer Person, welche es machen will, was heute ziemlich schwer fällt. Sie muss auch ruhig, freundlich sein und Charaktereigenschaften haben, welche sich der Widmung der Mission erleichtern. Es muss nicht der Familienkreis sein, doch noch bis vor ein paar Jahren ist es so gewesen. Diese Gabe wurde nämlich als etwas sehr Kostbares angesehen, als ein soziales Kapital. Und sie hatte in der Vergangenheit in Dörfern große Bedeutung. Es war etwas, was in der lokalen Gemeinschaft größeren Respekt versicherte. Und das war damals in Dörfern sehr wichtig. In der Vergangenheit verwendete man kein Geld und das Überleben hing von der Zusammenarbeit, nachbarlicher Hilfe ab. Jemand, der sich größerem Respekt erfreute, konnte auf größere Unterstützung in verschiedenen Situationen zählen. Am wichtigsten war der soziale Status. Und heute kommt es leider vor, dass Szeptuchy keinen finden, der diese Aufgabe übernehmen möchte, weil das soziale Kapital nicht mehr so wichtig ist. Immer wichtiger wird Geld, welches unentbehrlich ist. Man kann nicht nur von Respekt leben”, erklärt Małgorzata Anna Charyton. 

Vergelt’s Gott!

Szeptuchy helfen nicht gegen Geld. Sie verdienen es nicht durch Kranke und Hilfesuchende. In der Vergangenheit mussten sie nämlich nicht darauf beruhen. Szeptuchy oder Szeptuni sind einfache Menschen, welche heute von ihrer Rente leben, die sie bekommen, weil sie ihren Acker dem Staat abgegeben haben, und davon, was sie im Garten züchten. Sie brauchen nicht viel. Eine Schürze, Kopftuch und ein Dach über dem Kopf reichen. Mit Sicherheit müssen sie keine kostbaren Sachen besitzen. Trotzdem wurde der Lebensunterhalt mit den Jahren immer schwieriger. Geld hatte nämlich damals nicht so einen großen Wert wie heute. Und das Leben nur von der kleinen Rente, ohne eine zusätzliche Einkommensquelle ist sicherlich nicht leicht. 

Jeder ist jedoch anders. Man kann also auch solche Heilerinnen finden, welche für ihre Hilfe eine bescheidene Bezahlung oder ein kleines Geschenk annehmen. Andere spenden das bekommene Geld für die lokale orthodoxe Kirche, und weiter andere nehmen keins an. Sicher ist jedoch, dass Szeptuchy keine Preisliste haben. “Sie handeln nach dem Gefühl ihre Mission zu vollbringen, weswegen sie auch sagen «darmo dostał, darmo oddał» (dt. kostenlos bekommen, kostenlos abgegeben’). Da sie ihre kostbare Gabe kostenlos bekommen haben, können sie kein Geld von Menschen verlangen. Die Gabe ist nämlich für die, welche sie brauchen. Wenn eine Preisliste vorkommt, sollte man sich zurückziehen, zumindest wenn man eine traditionelle Szeptucha aus Podlachien aufsucht, weil es keine wahre podlachische Heilerin ist. Geld kommt eventuell unter dem Kennwort «Wie es bleibt» vor. Eine Szeptucha fragt niemals nach der Bezahlung, legt keinen Preis fest, greift nicht nach Geld. Sie kann zustimmen, falls jemand Geld im Rahmen der Dankbarkeit auf den Tisch legt. Doch nicht jede Szeptucha wird auf so etwas eingehen. Oftmals informiert sie, dass dieses Geld für eine Kerze in der Kirche ausgegeben wird. Also legen manche Personen 2 oder 5 Zloty. Wenn sie mit einem großen Problem kommen, kommen manchmal auch Scheine mit einem niedrigeren Nominalwert vor. Und tatsächlich nimmt die Szeptucha oftmals das Geld und bringt es danach in eine orthodoxe Kirche, kauft dafür Kerzen, zündet sie auf dem Leuchter vor einer Ikone an und betet. Es gibt auch Szeptuchy, welche finden, dass eine kleine Summe im Rahmen der Dankbarkeit nichts Schlimmes ist. Sie drängen niemanden dazu, doch finden, dass es das Richtige ist und jemand so seine Dankbarkeit ausdrücken darf. Ich muss zugeben, dass wenn jemand dorthin mit einer großen Bitte fährt und mit einem Gefühl weggeht, dass er viel bekam, würde er sich quälen, wenn er nichts als Kompensation gelassen hätte. Es ist eine Reaktion, wir müssen unsere Rechnungen begleichen”, erzählt die Anthropologin. 

Hilfe zu jeder Zeit

Wenn man eine Szeptucha besuchen möchte, muss man vorher nicht anrufen, um einen Termin zu vereinbaren. Er reicht einfach zu kommen, die lokalen Einwohner nach der Adresse zu fragen oder sie im Internet zu suchen. Die Heilerin wird ihre alltäglichen Arbeiten sofort unterbrechen und sich gleich ans Heilen machen. Sie wird sicherlich niemandem Hilfe verweigern. Es ist ihre Mission, sie wird also keinen Leidenden wegschicken. Sie kann nicht “NEIN” sagen, weil sie müde ist oder sich ausruhen möchte. Sie muss immer bereit sein, jemandem zu helfen. 

Małgorzata Anna Charyton betont, dass in der Meinung der Szeptuchy es keine Gabe ist, welche sie in sich haben, sondern etwas, was von Gott geschenkt wurde und wodurch sie bei ihm Gehör finden. Also helfen sie jedem, dem sie können, zu jeder Tageszeit. Doch nicht jede Szeptucha behandelt jede Krankheit. Die meisten spezialisieren sich in der Lösung konkreter Probleme. Es gibt auch solche, welche finden, dass es sich immer lohnt, zu beten und Gott um Hilfe zu bitten, unabhängig vom Problem. Sie beten also um eine Heilung, Lösung der Probleme oder Gnade. Sicher ist, dass Szeptuchy das geben, was kein Arzt garantieren kann – Hoffnung. “Generell sagen Szeptuchy, dass man mit einer Erkältung oder einem Knochenbruch zum Arzt muss. Es gibt also eine Kompetenzaufteilung zwischen Spezialisten. Auch bei den Szeptuchy gibt es Spezialisierungen. Es gibt ein paar Krankheiten, welche sehr charakteristisch sind, mit denen Menschen zu ihnen gehen und manche Szeptucha sind nur in der Heilung dieser oder einer von ihnen spezialisiert. Manchmal fahren jedoch Menschen mit verschiedenen Problemen zu den Szeptuchy. Mit der letzten Hoffnung, wenn die westliche Medizin keine mehr anbietet”, kommentiert die Anthropologin. 

Eine der Krankheiten, welche Szeptuchy behandeln, ist die Rose (poln. róża). Dabei handelt es sich jedoch nicht um die uns bekannten Krankheiten Rubeola oder Erysipel, genannt auch Rose (poln. Różyczka und Róża), da es Krankheiten der westlichen Medizin sind. Hier haben wir es mit etwas komplett anderem zu tun. “Es ist eine andere Bezugsebene, eine andere Welt, eine andere Kultur. Unter dem Begriff der Rose verstehen Szeptuchy verschiedene Hautkrankheiten. Sie haben mir gesagt, dass man in der Vergangenheit 9 verschiedene Varianten der Krankheit kannte. Es konnten Ausschläge, verschiedene Hautschwellungen, Rötungen sein, doch letztens sagen sie immer ‘wer kann sich schon an diese Varianten erinnern, wenn sie sowieso gleich behandelt werden’. Hier kann man also einen Unterschied zwischen der Medizin der Szeptuchy und der westlichen Medizin sehen. Ihre Diagnosen sind nicht so ausgeweitet und von der Heilung getrennt. Dieses Ritual, welches sie an einem Kranken durchführen, ist gleichzeitig eine Diagnose und Behandlung”, kommentiert Małgorzata Anna Charyton. 

Göttliche Kraft oder teuflische Gewalt?

“In meiner Annahme ist eine Szeptucha ein traditioneller, Podlachischer Volksheiler, also jemand, der aus einem Kranken einen Gesunden macht. Obwohl diese in der Region verschieden genannt werden, ist es  die beste Bezeichnung, dank der man sie von anderen Helfern in anderen Regionen Polens und der Makroregion unterscheiden kann. Hingegen die Bedeutung des Wortes «Szeptucha» wird in der lokalen Gemeinschaft verschieden verstanden. Ambivalent glauben die einen, dass diese Personen durch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten, einen besseren Kontakt zu Gott haben und gutes tun, andere finden hingegen, dass diese einzigartige Gabe von der teuflischen Gewalt kommt, Schaden zufügt und eine seelische Bedrohung ist. Die Meinungen sind geteilt”, betont die Anthropologin. 

Die offizielle Stellungnahme der Katholischen und Orthodoxen Kirche besagt, dass die Praktika der Szeptuchy und die Annahme ihrer Hilfe eine Sünde sind. Alles beruht auf Regeln, die von der Volkskultur abstammen, wo sich die christliche mit der vorchristlichen Symbolik mischt. Jeder Gegenstand, jedes Wort und jedes Zeichen haben eine entsprechende Symbolik. Manchmal geben die Szeptuchy Kranken Brot, Wasser, Zucker, Salz oder Mohn. Sachen, welche man leicht teilen, umschütten oder umgießen kann. Wichtig ist hier nicht nur ihre Symbolik, sondern auch die Substanzen selbst, welche ein Träger der Kraft sind. 

Kein Gegenstand kann jedoch ohne das geeignete Gebet helfen. In ihren Gebeten sprechen die Szeptuchy zu Gott, doch hier genau versteckt sich die ganze Kontroverse. Sie mischen nämlich nicht nur religiöse Motive miteinander. “Wenn man achtsam diesen Texten zuhört, welche sie aussprechen und wenn man kompetent ist, sie zu beurteilen, stellt sich heraus, dass sie einen Teil Gebete nutzt, und andere komplett andere Texte, welche nichts mit Gebeten zu tun haben und in denen sie sich nicht an Gott, den Heiligen Geist, Maria, Jesus oder andere Heiligen richten, sondern es ein Dialog mit der Krankheit ist, welche personifiziert wird. In der Volkskultur war die Krankheit immer als ein Wesen angesehen, welches eine wirkende Kraft und einen Willen hat. Das weckt in der Katholischen und Orthodoxen Kirche Angst auf”, erklärt Małgorzata Anna Charyton. 

Trotzdem sind Szeptuchy meistens sehr religiöse Personen, welche regelmäßig die orthodoxe Kirche besuchen, beten und aktive Mitglieder der religiösen Gemeinschaft sind. Gleichzeitig sind sie überzeugt, dass das, was sie machen, übereinstimmend mit dem Willen Gottes ist. “Es sind Personen, welche oftmals gewissenhaft Fasten, um die eigene Seele zu reinigen, ein besserer Mensch und dadurch auch Heiler zu werden. Fasten begünstigt die Reinigung des Körpers von Krankheiten. Oftmals nehmen sie auch an verschiedenen kirchlichen Festen teil, besuchen die orthodoxe Kirche, sind Teil der kirchlichen Gemeinschaft z.B. durchs Singen im Chor, welcher in der orthodoxen Kirche eine große Bedeutung hat, oder engagieren sich auf andere Weisen. Sie helfen, spenden, leuchten Kerzen an, beten um die Heilung der Personen, welche zu ihnen kommen. 

Heilende Gabe oder Betrug?

Im Internet kann man leicht Zeugnisse von Menschen aufsuchen, welche sich an Szeptuchy gewendet haben. Es fehlt nicht an Worten der Dankbarkeit und Verehrung, wie auch Kritik und Vorwürfen. Sicher ist, dass die Gruppe der Befürworter der Podlachischer Heilerinnen so groß ist, wie die Zahl ihrer Kritiker. Oder sogar noch größer. Die Einen beschreiben ihre Heilung, andere überzeugen von zu allgemeinen Informationen, welche sie von den Szeptuchy bekommen haben. Małgorzata Anna Charyton betont jedoch, dass es leicht ist, sich vor etwas automatisch zu fürchten, was wir nicht kennen. “Wenn uns etwas fremd ist, finden wir es automatisch unnormal und etwas verängstigend. Daher kommt die Reaktion, unsere Sichtweise als die Bessere anzunehmen, weil wir sie als normal und sicher ansehen. Wenn es hingegen um Beweise ihrer Gabe geht, ist es ein interessantes Thema, bei dem gleich die Frage kommt – wessen oder welche Mittel sollten bei der Untersuchung dieser Kultur genutzt werden? Ist es nicht so, dass wir auf der Suche nach Beweisen, eine Kultur mit den Mitteln einer anderen untersuchen möchten? Die Ergebnisse würden so ausfallen, wie bei der Untersuchung der chinesischen Medizin mit hilfe von Mitteln der Medizin der Indianer Nordamerikas. Die Beurteilung ihrer Leistung hängt von dem lokalen Verständnis der Ziele, welche sie und ihre Patienten erreichen wollen. Dieses Verständnis ist schwankend, weil es von Uberzeugungen abhängt”, erklärt die Anthropologin.

Es ist also schwer eindeutig zu sagen, ob Szeptuchy heilen oder nicht. Sicher ist, dass die langjährige Tradition immer noch lebt, weil Menschen ihre Hilfe immer noch brauchen. Wenn es keine Bedürftigen aus Podlachien und sogar ganz Polen geben würde, welche ein Treffen mit einer Szeptucha nötig haben, würden sie schon vor langer Zeit damit aufhören und die Tradition würde aussterben. Małgorzata Anna Charyton betont, dass manchmal sogar die lokale Gemeinschaft die Ausübung dieser Gabe von manchen Menschen erzwingt. Wieso? Weil sie sie brauchen – “Das Existieren von Szeptuchy zeugt von der Existenz von ganzen Gemeinschaften, welche solche Überzeugungen verkörpern und in diese Praktiken glauben”.

Stirbt die Tradition aus?

Mit den Jahren verändert sich die Welt immer schneller, und es gibt immer weniger von den Szeptuchy. In der Vergangenheit war ihre Hilfe allgemein zugänglich. Trotzdem wissen wir nicht viel darüber. “Wir besitzen nur wenige schriftlichen Quellen über die Praktiken der Heiler im 20. Jahrhundert oder früher. Podlachien war eine etwas von Ethnografen und Forschern vergessene und kulturell ärmere Region. Sie fuhren in verschiedene Ecken der Republik Polen, wo die ethnischen und regionalen Kulturen interessanter waren. Wir haben also keine Texte strikt über Szeptuchy. Was wir haben, sind Texte, welche sagen, woran die Einwohner erkrankten und womit sie sich an Heiler wandten. Darüber schrieben beispielsweise Ärzte oder Feldscher, wie auch Ethnografen. Auf dieser Grundlage kann man zu den Schlussfolgerungen kommen, dass die Praktiken der Szeptuchy sehr lange, seit Jahrzehnten oder sogar noch länger in fast unveränderter Form ausgeübt werden. Ich würde hier lieber sagen, dass obwohl man die Volkskultur als vernichtet und abgestorben im Zweiten Weltkrieg ansieht, leben diese Praktiken und Überzeugungen der Volksmedizin und werden von den Menschen aus Podlachien immer noch aufrechterhalten”.

Heute ist es schwer, die Zahl der Personen zu bestimmen, welche sich mit dem Heilen beschäftigen. Laut Małgorzata Anna Charyton, welche die Szeptuchy seit mehr als 10 Jahren untersucht, sind es ein Dutzend bis zu ein paar Dutzend Heilern und Heilerinnen. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, weil man nicht weiß, wo man die Grenze zwischen einer Szeptucha und einer Hausfrau mit vielen Fertigkeiten in der Behandlung der eigenen Familie setzen sollte. 

Einer der Gründe des Aussterbens der Tradition ist der Wert des Geldes. “Das Bedürfnis, Geld zu nutzen und die eigene Arbeit für Geld zu verrichten, verursacht, dass es immer schwerer ist, Willige zu finden, welche diese Pflicht auf sich nehmen möchten. Meiner Meinung nach wird sich in dieser Hinsicht etwas verändern. Ich meine, dass es immer noch Spezialisten der Volksmedizin geben wird, die Ausführung selbst wird sich wahrscheinlich ändern. Es ist möglich, dass Preislisten aufgestellt werden, und das wird weitere Konsequenzen und Veränderungen hervorrufen. Dieses Phänomen wird evolvieren. Ich betone jedoch, dass es nichts Sicheres ist, nur meine Meinung. Leider leben wir in einer Zeit, in der die Tradition der Szeptuchy schnell ausstirbt. Die meisten Heiler, mit denen ich gesprochen habe, sind jetzt schon tot und haben keinen Nachfolger gefunden” – beendet die Anthropologin. 

Sind Szeptuchy moderne Hexen? Sicherlich nicht. Hexen haben nämlich Menschen mit Flüchen belegt und Szeptuchy beschäftigen sich mit der Lösung, dem Kampf mit einer Krankheit, einem Fluch oder Albtraum. Ihr Ziel ist auf das Wohlbefinden der Menschen ausgerichtet. Doch haben sie wirklich so eine große Gabe? Schwer zu sagen. Sicher ist, dass sie vielen Menschen geholfen haben und für viele die letzte Hoffnung und Chance für ein besseres Leben sind. Und wie man weiß, stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt. 

Dieser Artikel stammt aus dem PolenJournal-Magazin (Onlineausgabe 2/2021)

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