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Weinanbau in Niederschlesien – Was vom Weine übrig blieb…

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Am Beginn der Fußgängerzone in Zielona Góra begrüßt mich der eigentliche Hausherr dieser Stadt persönlich. Eine mannshohe, bronzene Bacchusfigur rekelt sich ziemlich lasziv auf einem Fass und grinst mir ins Gesicht. Schwer zu sagen, ob der Wein, den er getrunken hat, zu sauer war, oder sein künstlerischer Schöpfer zu tief ins Glas geschaut hat. Jedenfalls begreift auch der eingefleischteste Biertrinker in dieser Stadt ziemlich schnell, dass er hier offensichtlich wenig zu sagen hat. An jeder Hausecke springt mir ein kleiner Bronzebacchus ins Auge, mal am PC sitzend, mal mit Fernglas, mal ein Buch lesend. Für ein paar hundert Euro kann sich jedes Geschäft der Stadt mit einer solchen Figur im Stadtbild verewigen. Nicht wenige haben davon Gebrauch gemacht. Ein kleines Plakat an der Touristeninformation weist sogar auf die Möglichkeit hin, mittels einer App alle Bacchusse der Stadt spielerisch kennenzulernen und abzulaufen.

Ich verzichte auf dieses Angebot, nehme mir aber vor, den in dieser Region seit über 700 Jahren angebauten Wein einmal vor Ort zu probieren. Doch das Vorhaben gestaltet sich schwieriger als gedacht. Nur in zwei Weinstuben von Zielona Góra finde ich den regionalen Wein im Angebot. Und auch das erst auf Nachfrage. Auf den offiziellen Karten ist er nicht zu finden. Erst nach einigen Gesprächen mit Inhabern, Gästen und Weinbauern erklärt sich mir dieses eigenartige Phänomen.

Im 19. Jahrhundert zählte die Gegend um Grünberg zu den bekanntesten Weinanbaugebieten Deutschlands. Das besondere, atlantisch-kontinentale Klima mit einer hohen Zahl an Sonnentagen prädestinierte die Gegend für den Anbau der empfindlichen Reben. Zusammen mit zwei Partnern baute der Industrielle August Grempler hier im Jahr 1826 die einst größte Sektkellerei Deutschlands auf und etablierte den Sekt als eine der bekanntesten Marken der regionalen Gastronomie. Doch heute ist davon nicht mehr viel übrig geblieben. Auf einem Hügel der Stadt, in dem 1961 erbauten Palmengarten, finde ich lediglich noch Reste der Grundmauern seiner Kellerei sowie einige Bilder und Fotos aus der Vorkriegszeit. Der Wein, der heute hier lagert, stammt größtenteils aus dem Ausland. Einheimischer Wein ist zwar erhältlich, aber wieder nur auf Nachfrage. Stattdessen offenbart der Blick vom Hügel aus über die spärlichen Weinberge hinweg auf die Plattenbauten die eigentliche Tragik der Geschichte Grünbergs.

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„Nach dem Krieg marschierten nicht nur die Russen ein, sondern auch der Wodka!“, erzählt mir ein Gast scherzend. Fast alle Weinberge in Zielona Góra wurden in den Jahrzehnten nach 1945 zerstört, der letzte 1976. An ihrer Stelle wurden jene Plattenbauten errichtet, die bis heute im Stadtbild sichtbar sind.

Nur einige wenige, meist aus Ostpolen hier zwangsangesiedelte Weinpioniere begannen in den 1970er-Jahren damit, die Weintradition an einigen Orten allmählich wieder aufleben zu lassen. In jahrzehntelanger Arbeit gelang es ihnen, hier und da im Stadtgebiet oder in der Umgebung kleinere Weinberge anzulegen oder alte wiederzubeleben. Im Gegensatz zu dem 700 Hektar großen Anbaugebiet von vor 1945 gibt es heute nur noch einige Dutzend drei bis vier Hektar große Weinberge, deren Bauern den Besuchern in kleinen Degustationen ihre Erzeugnisse anbieten. Kein Wunder also, dass in Polen nur 2,4 Liter Wein pro Kopf im Jahr getrunken werden, während man zuweilen neidisch nach Frankreich blickt, wo der Weinkonsum bei über 50 Litern liegt. Als ich Joanna, die Inhaberin der Weinstube in der Altstadt, frage, warum der regionale Wein auf den Weinkarten der Stadt kaum zu finden ist, ist ihr die Antwort etwas peinlich. Es gebe so wenig Wein in Grünberg, dass es sich nicht lohne, ihn auf die Karte zu setzen. Entweder sei er zu schnell verkauft, oder man müsste jedes Jahr neue Karten drucken, weil man nie wisse, wie viel Wein von welcher Sorte man bekomme. Überhaupt gelange nur eine geringe Anzahl an Flaschen in den freien Verkauf. Die Konzessionen seien sehr teuer, und nur wenige der kleinen Weinbauern könnten sich diese Summen leisten. Sie erzählt mir von einem Winzer, der angeblich mehrere Tausend Flaschen im Keller lagere, weil er sich das Geld für eine Konzession nicht leisten könne und außerdem die Bürokratie fürchte.

Dem Wodka der Russen folgte nach dem Krieg das Bier der Polen. Wein hingegen blieb für viele Polen eher eine Besonderheit, vielleicht sogar Kuriosität. Im Gegensatz zu Bier und Wodka können sich den polnischen Wein auch heute nur wenige Polen leisten. Über zehn Euro kostet ein Flasche, weil die kleinen, auf reiner Handarbeit basierenden Produktionsprozesse zeitaufwendig sind und teuer.

Ich besuche den Weinbauern Krzysztof Fedorowicz auf seinem Weingut „Miłosz“, das ungefähr 15 Kilometer östlich von Grünberg liegt. Als ich ankomme, beklebt er gerade seine Flaschen mit Etiketten. Obwohl sich die Produktion seiner Weine in den letzten zwei Jahren fast verdoppelt hat,  kann er kaum davon leben. Was sind schon 6000 Flaschen pro Jahr, wenn jeder Gewinn dafür verwendet werden muss, neue Reben zu kaufen? Sein Traum sei es, so sagt er, irgendwann einmal 20.000 Rebstöcke zu besitzen. Aber niemand in Grünberg baut Wein an, um damit reich zu werden. Es ist die Liebe zu einer Tradition, die in der Nachkriegszeit verloren zu gehen schien und nun mehr und mehr wieder entdeckt und weiterentwickelt wird.

Krzysztof lädt mich ein, seine Weine zu probieren. Sechs verschiedene Rebsorten hat er im Angebot, darunter Müller-Thurgau, Pinot Noir und einen Zweigelt & Dornfelder. Ich verstehe nicht viel von Wein, doch von jener Säuerlichkeit, die der Schriftsteller Johann Trojan dem Grünfelder Wein noch im 19. Jahrhundert andichtete, spüre ich nichts. Damals spottete er über ihn: „Er ist ein Wein für Mucker / für die schlechtesten Dichter / und dergleichen Gelichter / Er macht lang die Gesichter, / blass die Wangen; wie Rasen / so grün färbt er die Nasen. / Wer ihn trinkt, den durchschauert es, / wer ihn trank, der bedauert es. / Er hat etwas so Versauertes, / dass er sich nicht lässt mildern / und schwer ist zu schildern / in Worten oder Bildern.“

Als könnte er meine Gedanken lesen, erklärte mir Krzysztof, dass das Vorurteil der sauren Weine dieser Region längst der Vergangenheit angehört. In der Hochsaison besuchen ihn fast jeden Tag Gruppen von Weinkennern aus Deutschland, Polen, aber auch aus anderen Ländern, die immer wieder überrascht sind von der Qualität der hiesigen Weine. Da Krzysztof nicht nur Weinbauer, sondern auch Dichter ist, hat er den Geschmack der Grünberger Weine in der Sprache der Poesie in seiner Werbebroschüre verewigt: „Aus der bekanntesten Rotweinsorte der Grünberger Gegend wird ein nur scheinbar leichter, in Wahrheit aber komplexer und vielschichtiger Wein gekeltert. Er enthält Noten von Kirsche, Erdbeere, Holz und Rauch, vom warmen, feuchten Waldboden und vom Sand dort am Feldrain, am Rand eines grenzenlosen Kiefernwaldes.“

Müsste ich eine Entscheidung treffen, so hätte Krzysztof den Dichterstreit klar für sich entschieden. Nicht nur im Hinblick auf die Qualität seiner Poesie, sondern auch im Hinblick auf die Qualität seiner Weine. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob es den Weinbauern der Region gelingt, die Versprechungen der Bacchusfiguren in der Stadt auch mit Wein zu füllen. Krzysztof ist noch ein wenig skeptisch. Solange der Bürgermeister dem Festival russischer Lieder in Grünberg noch mehr Aufmerksamkeit widmet als der Weinlese im September, wird es schwierig. Aber irgendwann kommt ein neuer Bürgermeister. Und dann hat Krzysztof vielleicht auch sein Ziel erreicht, 20.000 Reben auf seinem Weinberg zu haben.

 

 

Zum Buch:

Nach seinen Büchern „Polenreise“ (2007) und „Reise in Ostpolen“ (2011) reist Matthias Kneip erneut nach Polen, diesmal in den Westen des Landes. Von Kołobrzeg im Norden Richtung Wałbrzych im Süden nimmt er den Leser mit auf eine Reise durch eine Region, die ebenso von deutscher wie polnischer Geschichte geprägt wurde. In poetischen Essays erzählt Kneip von spannenden Biografien und kuriosen Ortschaften und berichtet von eindrucksvollen Begegnungen. Wie gehen die Menschen und Orte in diesem Teil Polens mit ihrer Geschichte um? Welche neuen Wege schlagen sie ein? Eine spannende Lektüre für jeden Leser und ein Buch, das Lust macht, sich selbst mal auf die Reise zu begeben… 

“Reise in Westpolen. Orte, die Geschichte erzählen” ist bereits im Handel!

 

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