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Das Schlesische Aschenputtel

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Ein Märchen ohne Happy End

Das Märchen Aschenputtel wird seit Jahrzehnten von Generation zu Generation mithilfe von Büchern, Zeichentrickfilmen und Filmen erzählt. Was wäre, wenn sich diese Geschichte, ohne ihre Süßlichkeit und Lehre, aber im wahren Leben im 19. Jahrhundert abspielen würde? Wie würde dieses Märchen dann enden? Das brauchen wir nicht zu überlegen. Dies ist die Geschichte über das Schlesische Aschenputtel, die sich eher für einen Horrorfilm aus Hollywood als für eine Bettlektüre eignet.

Am 29. April 1842 wurde in Zabrze /Hindenburg OS, die Tochter von Johann und Antonia Gryzik – Johanna geboren. Dies war der Beginn einer Geschichte, die im Gegensatz zum Märchen der Gebrüder Grimm, nicht auf der ganzen Welt, sondern nur in Polen und genauer gesagt in Schlesien erzählt wird.

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Das Leben hat die Familie Gryzik nicht verwöhnt. Der Vater von Johanna war ein einfacher Arbeiter, der um seine Familie zu ernähren, in der Zinkhütte von Karl Godulla schuftete. Kurz nachdem die Schwester von Johanna – Caroline geboren wurde, ist Johann verstorben. Es war im Jahr 1845. Die Mutter der beiden Mädchen hat schnell wieder geheiratet, aus Sorge um ihre Familie. Der Stiefvater hat nicht nur zu viel Alkohol getrunken, sondern angeblich auch die beiden Stieftöchter misshandelt. Die Ehe dauerte jedoch nicht lange und Antonia wurde wieder zur Witwe ohne Existenzmittel. Die Mutter von Johanna suchte einen Ausweg aus dieser schwierigen  Lage und plante erneut eine schnelle Hochzeit. Bei ihren Plänen wurde jedoch die kleine Johanna nicht berücksichtigt, denn der zukünftige Gatte wollte nicht beide Schwestern unter sein Dach aufnehmen. Die verzweifelte Mutter entschied sich schließlich für das jüngere Mädchen – Caroline. Emilia Lukas, eine gute Freundin von Antonia und gleichzeitig die Bedienstete von Karl Godulla, hat Johanna zu sich genommen. Damals wusste das kleine Mädchen nicht, dass der Aufenthalt im Haus Godullas, bei dem einst ihr Vater arbeitete, ihr Leben auf den Kopf stellen wird.

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Liebe geht durch Ehrlichkeit

“Karl Godulla war ein Einzelgänger, der andere Leute mied”, sagte im Gespräch mit PolenJournal.de Janusz Skop, ein Fotograf, der sich seit vielen Jahren mit der Geschichte von Johanna beschäftigt. “In seiner Jugend war er ein Forstgehilfe und hat Wilddiebe verjagt. Diese wollten Rache nehmen. Sie haben ihn geschnappt und mit dem Kopf in einen Ameisenhaufen gesteckt, sie haben ihn am Baum gefesselt und haben probiert, ihn  zu ermorden. Dem Tod ist er wahrscheinlich nur durch ein Wunder entgangen, doch sein Gesicht blieb verstümmelt und deformiert”, fügt der Autor des Blogs kopice.org hinzu. Godullas Aussehen hatte ihn jedoch nicht daran behindert, ein mächtiges Imperium aufzubauen. Wegen seines Reichtums war Karl Godulla eine geschätzte Persönlichkeit, doch wegen seines Charakters stand ihm keine der Personen aus seinem Umfeld so richtig nahe.

Warum hat aber ein alter Griesgram, der andere Menschen mied, die Präsenz eines kleinen Kindes in seinem Haus zugelassen? Dieses Geheimnis hat er mit ins Grab genommen. Tatsache ist aber, dass die kleine Johanna die einzige vertraute in seinem Lebensabend war. “Kinder sind in der Regel ehrlich und direkt, zusätzlich hatte das Mädchen keine Hemmungen und Vorurteile gegenüber Godulla”, erklärt Janusz Skop. “Einmal hat sie auf der kleinen Wiese hinter dem Haus Blumen eingesammelt, rannte zum Arbeitszimmer, wo Godulla hinter dem Schreibtisch saß, überreichte ihm den Blumenstrauß und sagte auf schlesisch: Das ist für sie, Herr Godulla, weil ich sie liebe”, setzt Janusz Skop fort und fügt gleich hinzu, dass diese Worte zweifellos den Unternehmer nicht nur überraschten. Ihm wurde auch klar, dass dem Mädchen sein Reichtum und Geld nichts bedeuten. Sie hat einfach direkt vom Herzen und ehrlich gesprochen. Auf der Seite kopice.org lesen wir, dass kurz danach Emilia Lukas in das Arbeitszimmer reingegangen ist. Da saß bereits die kleine Johanna auf dem Schoß von Godulla, der ihr ein Märchen erzählt hat. Vieles deutet darauf hin, dass gerade dieses Ereignis den Zinkkönig dazu angeregt hat, für das kleine Kind zu sorgen und es zu adoptieren.

Die aus einer einfachen Arbeiterfamilie stammende Johanna hat kurz darauf einen privaten Lehrer erhalten, der sich um ihre Ausbildung kümmern sollte. Karl Godulla war es jedoch nicht vergönnt zu beobachten, wie seine Protegé erwachsen wird. Im Frühling 1848 litt der Zinkkönig unter einer fortschreitenden Nierenkrankheit. Zusammen mit dem kleinen Mädchen reiste der Unternehmer zur Behandlung nach Wrocław/Breslau. Es war ihre letzte gemeinsame Reise. Interessanterweise hat er auf dem Sterbebett sein Testament geändert und sein ganzes Vermögen derjenigen hinterlassen, die ihm einst mit einen kleinen Blumenstrauß im Arbeitszimmer überraschte. “Alle anderen Verwandten, die sich sicher waren, dass sie zu Erben werden, hat er weggelassen”, erklärt der Autor des Blogs kopice.org.


Johanna Gryzik von Schaffgotsch (Geb. Gryzik, 1842-1910)
Foto zvg. von Janusz Skop / kopice.org

Auf der Suche nach Zuflucht im Kloster

Es ist nicht schwer zu erraten, dass diejenigen, die sich vom Testament Godullas viel erhofft haben, nicht gerade begeistert von seiner Entscheidung waren. Das hat aber auch der Unternehmer vorausgesehen und deswegen hat er seinen engen Freund Maximilian Scheffler beauftragt, seinen letzten Willen auszuführen und die kleine Johanna unter seine Fittiche zu nehmen. Laut den Informationen, die auf der Seite kopice. org zu lesen sind, hat das kleine Mädchen ein Vermögen geerbt, dass auf rund 2 Mio. Talar beziffert wurde. So kann man gewiss annehmen, dass für die enttäuschten Verwandten von Godulla, die Sache noch nicht gelaufen und jeder Mühe wert war. Das Testament selbst löste eine Welle von Klatsch und Geflüster aus. Viele vermuteten, dass das Mädchen die uneheliche Tochter des Unternehmers war. “Godulla konnte nur eine Sache nicht voraussehen. Im Dokument wurde festgehalten, dass wenn Johanna kinderlos verstirbt, das Erbe in die Hände von Godullas  Neffen gelangt”, sagt Janusz Skop und fügt gleich hinzu, dass die Verwandten erst erfolglos das Testament zu widerrufen versuchten und nachdem sie gescheitert waren, mehrere Mordversuche am Mädchen unternommen haben.

Aus Sorge um ihre Sicherheit hat sie Scheffler im Breslauer Ursulinen-Kloster untergebracht, wo sie bis zu ihrem 16. Lebensjahr lebte. “Johanna hat dort nicht nur eine hervorragende Ausbildung genossen, sondern auch das nötige Wissen bezüglich der Manieren in höheren Kreisen von den Nonnen erlangt. Das hat später Früchte getragen, denn die Menschen waren immer wieder von dem Benehmen der jungen Dame und ihrer Geschicklichkeit überrascht. Das Kloster hat Johanna das Wissen gegeben und sie zum Leben in verschiedenen Kreisen vorbereitet”, erklärt der Fotograf und Blogger. Nachdem sie die Klostermauern verlassen hatte, zog sie bei Scheffler ein, der die ganze Zeit ihr Vermögen verwaltete.


Hans Ulrich von Schaffgotsch (1831-1915)
Foto zvg. von Janusz Skop / kopice.org

Ein Graf ohne Geld

Johanna war reich, schön und ließ dementsprechend die Herzen der Männer höher schlagen. Bevor sie jedoch ihren sprichwörtlichen Märchenprinzen kennenlernte, war sie mit einem polnischen Adeligen liiert. “Trotz ihres Vermögens hat seine Familie sie ohne den gehörigen Respekt behandelt und ihr ihre Herkunft vorgehalten”, sagte im Interview mit PolenJournal.de Janusz Skop. Aufgrund der Aussagen der Mutter des damals noch zukünftigen Bräutigams ließ Johanna die Verlobung platzen. 

Godullas Erbin besuchte oft und gern das Breslauer Theater und die Oper. Dort hat sie auch ihren zukünftigen Gatten, den Graf Hans Ulrich von Schaffgotsch kennen gelernt. Sie – reich, aber ohne Adelstitel, er – ein Adeliger, der aus einer sehr bekannten Adelsfamilie stammt aber mit einem bescheidenen Vermögen. “Angeblich soll es eine Liebe auf den ersten Blick gewesen sein”, lesen wir auf der Seite kopice.org. Noch bevor die Hochzeitsglocken läuteten, konnte der Freund von Karl Godulla – Maximilian Scheffler das Wohlwollen des preußischen Königs – Friedrich Wilhelm IV. gewinnen und gewissermaßen die Erhebung Johannas in den Adelsstand kaufen. Ab diesem Moment nannte sie sich Johanna Gryzik von Schomberg-Godulla. “Danach stand der Hochzeit nichts mehr im Wege”, fügt Janusz Skop hinzu. Vor den Traualtar sind Johanna und Hans Ulrich knapp einem Monat später getreten – im November 1858.

 

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Sie lebten lange und glücklich…?

Die frischgebackenen Eheleute wohnten anfangs in Breslau/Wrocław, um nach knapp einem Jahr nach Koppitz/Kopice zu ziehen, wo sie eine Residenz kauften  “Heute ist es ein kleines Dorf mit einer zugewachsenen Ruine, aber Koppitz/Kopice war einst ein richtiges Kulturzentrum, das von sehr hohen, bekannten und reichen Gästen, wie Baronen und Grafen besucht wurde”, sagt der Blogger, der sich mit der Geschichte des Schlosses in Koppitz/Kopice und der von Johanna seit 2006 beschäftigt. “Über die Treffen und Events berichtete das Salonblatt, eine Zeitung für die höheren Kreise, die sich mit solchen Themen beschäftigte. Aus diesen Erwähnungen wissen wir, dass Koppitz/ Kopice von der europäischen Crème de la Crème besucht wurde”, fügt Skop hinzu. Das zeigt auch welch einer großen Wertschätzung sich die Gräfin und der Graf von Schaffgotsch, die insgesamt vier Kinder hatten, zu ihren Lebzeiten erfreuten.

Die Ausbildung, die Karl Godulla seiner Johanna geschenkt hat, war alles andere als sinnlos. Die Gräfin hatte das Zeug zum Geschäft und konnte das geerbte Vermögen vermehren. 1905 wurde es sogar auf rund 50 Mio. Mark beziffert. “Die Besitzer von Koppitz/Kopice waren nicht nur für ihre perfekt geleitete Geschäftstätigkeit bekannt, aber auch für ihre Großzügigkeit, dank derer viele Schulen, Kirchen, Krankenhäuser und ein Waisenhaus in Beuthen/Bytom entstanden sind. Dank der Initiative des Grafen ist auch eine Unterstützungskasse entstanden, die die Arbeiter der Schaffgotsch Bergwerke und Hütten nutzen konnten. In Beuthen/ Bytom wurde wiederum eine Internatsschule für die Kinder der Angestellten gegründet”, lesen wir auf der Seite kopice.org.

Die Ehe von Johanna und Hans Ulrich dauerte 52 Jahre lang und endete mit dem Tod der Gräfin im Jahre 1910. Fünf Jahre später verstarb ihr Ehemann. Von einem Happy End könnte man nur dann sprechen, wenn die Geschichte der beiden genau an diesem Zeitpunkt geendet hätte. Hat sie aber nicht.


Die Ruine des Schlosses in Koppitz/Kopice
Foto zvg. von Janusz Skop, kopice.org

Wenn das Märchen zum Horror wird

Die Ehegatten ruhten im Mausoleum gleich neben der Kirche in Koppitz/Kopice. Nach dem Krieg wurde die Grabstätte geplündert und die Leichen entehrt. “Angeblich sollten die mumifizierten leiblichen Überreste der Familie Schaffgotsch in der Umgebung herumliegen. Zum Spaß wurden sie sogar bei der örtlichen Kneipe aufgestellt. Später sind sie sogar im Schlossteich geschwommen”, fügt Janusz Skop hinzu. Auf seiner Seite kann man lesen, dass die Schaffgotsch-Grabstätte dem Schicksal bis 1977 überlassen worden war. “Der damalige Pfarrer informierte den heute bereits verstorbenen Urenkel von Johanna – Hans Ulrich Senior, dass die leiblichen Überreste seiner Vorfahren in Koppitz/Kopice herumliegen.” Der Graf hat alle Kosten für die Gruppenbeerdigung seiner Familie, die für weitere 40 Jahre in einem Massengrab neben der Kirche ruhte, übernommen.

“Zu meiner Verwunderung hat der Pfarrer im Jahr 2017 alle alten Grabplatten auf dem Gelände bei der Kirche entfernen lassen. Seine Entscheidung hat er damit begründet, dass sie eine Bedrohung für die Menschen, die dorthin kamen, dargestellt haben. An der Stelle, wo sich früher die Grabplatte der Schaffgotsch befand, wurde somit ein Rasen eingesät und dass trotz der Tatsache, dass die Grabtafel seit 1977 im idealen Zustand war. Man hat jedoch vergessen, dass unter diesem Rasen weiterhin die Leichen von den einstigen Besitzern von Koppitz/Kopice ruhen und die Gäste und Touristen, die das Mausoleum bewundern wollen, auf sie treten”, sagte gegenüber PolenJournal.de Janusz Skop. Die Fortsetzung dieser Geschichte wird noch folgen, denn eine Exhumierung und eine erneute Beerdigung in  restaurierten Sarkophagen ist bereits für die kommenden Monate eingeplant.

Ein Sujet für einen Film

Die Schicksalswege des Schlesischen Aschenputtels sind nur teilweise so glücklich, wie es der Fall bei der Hauptprotagonistin des Märchens war, das von den Gebrüder Grimm niedergeschrieben wurde. Die Geschichte von Joanna Schaffgotsch ist aber wahr und das tragische Ende macht sie umso einzigartiger. Von einem Happy End kann in diesem Moment noch nicht die Rede sein, aber genauso, wie der Drehbuchautor manchmal sein Drehbuch ändert, so kann auch hier das Ende durch die Exhumierung und erneute Beerdigung geändert werden. Vielleicht ist diese Story dann auch ein Sujet für einen guten Film, der das Schlesische Aschenputtel auf der ganzen Welt berühmt machen wird. 

 

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