Elf Tage sportlich unterwegs für eine gute Sache: Von der niederschlesischen Metropole Wrocław (Breslau) in die deutsche Hauptstadt Berlin führte eine Paddeltour, mit der die 20 Teilnehmenden ein Zeichen für den Schutz der Gewässer und einen klimafreundlichen Tourismus setzen wollten. Unterwegs übte sich die Gruppe nicht nur in der Müllvermeidung, sondern sammelte auch die Hinterlassenschaften von anderen beiderseits der deutsch-polnischen Grenze ein.
„Der härteste Abschnitt war die Fahrt auf dem Oder-Spree-Kanal in der prallen Sonne“, blickt Wolfgang Widmann nach der Ankunft in Berlin auf die fast 400 Kilometer lange Strecke zurück. Der 64-jährige führt mit seiner aus Polen stammenden Frau eine Pension im Vogtland. Vor einem Jahr hat das Paar in Südfrankreich den Kajaksport für sich entdeckt und ist seitdem regelmäßig auf dem Wasser unterwegs. Besonders beeindruckt zeigt sich der gebürtige Schwabe von der unberührten Natur an der Oder: „Ich habe noch nie in meinem Leben an drei Tagen hintereinander einen Seeadler gesehen“, erzählt er. Auch Elisabeth Lampe, die als Jugendliche Kajakfahren als Leistungssport betrieben hat, zeigte sich begeistert von der Natur entlang des weitgehend unregulierten Flusses. Noch mehr aber schwärmt die in Gdańsk (Danzig) aufgewachsene Wahl-Hamburgerin von ihrer bunt zusammengewürfelten Gruppe: „Ich habe lange nicht mehr so viel gelacht und werde sicher mit vielen weiter in Kontakt bleiben.“
Neugierige Besucher bei Spreewerder. Foto: Dorota Jaśkiewicz
Begonnen hatte die Tour am 6. August morgens um 8 Uhr an der Rędziński-Brücke am nördlichen Stadtrand von Wrocław. Vom Treiben der Großstadt ist dort nicht mehr viel zu spüren. Allein die Autobahn A8 über die massige Brücke trübt ein wenig die Idylle. Vor der Gruppe liegen elf Tagesetappen von durchschnittlich fast 40 Kilometern. Schon kurz nach dem Start ist Polens zweitgrößter Fluss nahezu menschenleer. Wild und mäandernd fließt er durch das ländliche Niederschlesien, das Lebuser Land und durch reizvolle Naturreservate wie den Landschaftspark Krzesin (Kräsem). Eine spürbare Strömung erleichtert es der Gruppe, das gesetzte Tagespensum zu schaffen. Unterwegs kann jeder sein eigenes Tempo wählen, muss nur bis 21 Uhr am Etappenziel ankommen. So ist Elisabeth Lampe mal mit anderen gemeinsam unterwegs, genießt es aber auch, wenn sie die Natur für sich allein hat.
Eines der touristischen Highlights erleben die Paddler bereits am Morgen des zweiten Tags. Wie aus dem Nichts erscheint am rechten Flussufer das mächtige Zisterzienserkloster von Lubiąż (Leubus). Mit 223 Metern zählt das Bauwerk zu den längsten in Europa. Elisabeth Lampe legt mit anderen an, um es zu besuchen. Eigentlich ist erst ab 9 Uhr geöffnet, doch mit etwas Überredungskunst dürfen sie schon vorher ganz exklusiv die barocken Ausstellungsräume besichtigen. Am nächsten Abend erreichen sie Głogów (Glogau) und haben von der dortigen Marina aus die Gelegenheit zu einem Bummel durch die wiederaufgebaute Altstadt und zum gotischen Dom, bevor der Abend am Lagerfeuer ausklingt.
Am achten Tag passiert die Gruppe die eindrucksvolle Ruine einer Oderbrücke. Sie verband seit dem frühen 20. Jahrhundert Kloppitz am östlichen mit Fürstenberg am westlichen Ufer. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde sie von der Wehrmacht gesprengt. Kurz darauf wurde Kloppitz zu Kłopot und Fürstenberg später zu einem Stadtteil von Eisenhüttenstadt. Kaum merklich passieren die Paddler dort die Grenze zwischen Polen und Deutschland. Während die Oder weiter entlang der Grenze nach Norden fließt, biegt die Gruppe westwärts in den 1891 erbauten Oder-Spree-Kanal ein. Und damit verändert sich der Charakter der Strecke grundlegend: „Bei fast stehendem Wasser konnten wir kaum Geschwindigkeiten von fünf Stundenkilometern erreichen“, erinnert sich der in Berlin lebende Kajak-Vlogger Bogumił Jarecki, der gemeinsam mit dem Breslauer Umweltaktivisten Dominik Dobrowolski die Tour organisiert hat. Wolfgang Widmann pflichtet ihm bei: „Neben dem frühen Aufstehen war das die größte Herausforderung für mich.“ Auf den letzten fünf Kilometern am Tag sei für ihn die Belastungsgrenze spürbar geworden.
Unterwegs auf der Oder, Polens zweitgrößtem Fluss. Foto: Witek Gawlik
Nach zwei Tagen ist an der Fürstenwalder Schleuse das Schlimmste überstanden. Das letzte Stück der Reise führt über die naturbelassene Spree, in deren klarem Wasser man Fische und Biber beobachten kann. Ein letzter Stopp in Erkner vor den Toren der Großstadt, dann noch ein wenig Meeresfeeling, als sich die Boote durch die hohen Wellen des Müggelsees kämpfen. Zur Ankunft an der Marina „Mutter Lustig“ in Berlin-Köpenick lässt Organisator Dominik Dobrowolski erst einmal die Sektkorken knallen.
Wie schon bei früheren Touren wollte Dobrowolski auch entlang von Oder und Spree Müll einsammeln. Doch allzu viel hatte man zum Glück nicht zu tun. Nur im Bereich der Campingplätze und Marinas sowie in größeren Städten lagen achtlos weggeworfene Verpackungen. So kamen am Ende nur ein paar kleine Säcke Müll zusammen. Für Wolfgang Widmann machte es dennoch Sinn, mit einer solchen Tour darauf hinzuweisen, welchen Einfluss der Mensch auf die Umwelt hat. Mit einer weitgehend intakten Natur entlang der Oder habe Polen „einen unglaublichen Schatz, mit dem man vorsichtig umgehen sollte“, mahnt er.
Widmann hat nicht nur die Qualität der Marinas begeistert, sondern auch die Gastfreundschaft der Bevölkerung. In einigen Orten haben offizielle Partner des Projektes sogar kleine Feste organisiert. Er hat unterwegs viel Neues erfahren und kann die Tour von Breslau nach Berlin nur empfehlen. „Es wissen sicher nur wenige aus dem Westen, dass an der Oder bei Cigacice durchaus trinkbarer Wein wächst“, erzählt er. Die Gruppe hatte das dortige Weingut „Stara Winna Góra“ besucht, auf dem schon Alexander von Humboldt zu Gast gewesen sein soll. Elisabeth Lange, die in den vergangenen Jahren selten in Polen war, hat sich an vielen Orten an ihre Jugend erinnert.
Auch die Veranstalter sind vom Erfolg der Tour überzeugt. „Wir planen für das kommende Jahr auf jeden Fall eine Wiederholung“, meint Bogumił Jarecki zuversichtlich. Ursprünglich hatten sich rund 200 Interessierte gemeldet, die Plätze waren aber begrenzt und aufgrund von Corona haben manche abgesagt. Bei der nächsten Tour wollen Dobrowolski und Jarecki noch eins draufsetzen. „Man könnte vielleicht weiter über die Havel und Elbe bis nach Hamburg paddeln“, meinen sie. Für Elisabeth Lange wäre das ein Heimspiel.
Informationen zu den Projekten von Dominik Dobrowolski unter www.cycling-recycling.eu oder www.facebook.com/RecyklingRejs, zu touristischen Angeboten in Polen unter www.polen.travel
Tourteilnehmerin Elisabeth Lange Foto: Bogumił Jarecki.