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Der Hexer und seine Welt

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Seitdem Netflix die Entstehung einer Serie auf der Basis der Hexer-Saga von Andrzej Sapkowski angekündigt hat, sorgt die Frage, wie sie aussehen soll, für viel Wirbel unter den Fans des weißhaarigen Monsterjägers. Neben der Hautfarbe der Schauspieler, Geschlecht der Schöpfer und vermeintlicher Historizität des Universums, greifen die Diskutierende nach den Argumenten über “das Slavische” in der von Sapkowski kreierten Welt. Doch ist es überhaupt ein Thema?

Woher kam der Hexer?

Bei “Dem Hexer” handelt es sich um das literarische Debüt von Andrzej Sapkowski – eine Erzählung, die für den Wettbewerb des Magazins  “Fantastyka” im Jahr 1986 entstanden ist und den dritten Platz ergatterte. Der Text wurde in der Dezember-Ausgabe veröffentlicht und begeisterte die Leser so sehr, dass der Autor langsam an weiteren Erzählungen arbeitete, bis 1994 der erste Band der Hexer-Saga auf den Bücherregalen erschien. Ursprünglich zählte die Serie zwei Erzählungsbände und zwei zum Universum gehörende Erzählungen aus der Anthologie “Etwas endet, etwas beginnt“. Nach mehreren Jahren entstand eine weitere Geschichte, die unterschiedlich bei den Fans ankam. Sapkowski selbst ist eine kontroverse Persönlichkeit. Einerseits kann man ihm Talent und Gelehrsamkeit nicht absprechen, andererseits erregen seine Äußerungen Widerwillen und Verlegenheit. Viele Fans sind aber bereit, das Auge zuzudrücken, denn die Exzesse sind harmlos für die Gesellschaft und abgesehen davon, ist hier die Rede von einem Stück guter Literatur. 

 

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Noch vor der Premiere des ersten Videospiels wurde die Hexer-Saga außerhalb Polen veröffentlicht. Ende der 90er entstanden die ersten Übersetzungen, darunter auch ins Deutsche. Zur Ehre des Schaffens von Sapkowski wurden anlässlich seines 30. Debütjubiläums zwei Anthologien – die russisch-ukrainische “Opowieści ze świata wiedźmina” (2013) und polnische „Szpony i kły“ (2017) – herausgegeben. Die Saga inspirierte auch andere Autoren. Ein Paradebeispiel dafür ist „Wiedźmin z Wielkiego Kijowa“ (1999) von Wladimir Wasiljew. Es reicht sich ein wenig mit den Trends in der polnischen Fantastik vertraut zu machen, um Sapkowskis Einfluss auf seine Berufskollegen zu bemerken. Er war derjenige, der die Mode auf zynische Antihelden – die sich am Rande der Gesellschaft befanden, aber sie trotzdem moralisch und intellektuell übertreffen – wie auch auf die unterschiedlichsten Reinterpretationen von Märchen, Dekonstruktionen bekannter Motive und durch Probleme unseres Alltages inspirierte Handlung, angefangen hat. 

Inhalt

Worüber handelt die Hexer-Saga? Über den Hexer Geralt, seine geliebte Zauberin Yennefer und den Überraschungskind Ciri. Wer ist der Hexer? Mitglied der Zunft von professionellen Monsterjägern, die von klein auf in Fechten und Magie trainiert werden, und die im Verlauf diversen Mutationen und der Kräuterprobe übermenschliche Kräfte bekommen. Wie sind aber die Monster? Gute Frage… 

Wer sich wenigstens ein bisschen im Hexer-Universum auskennt, weiß genau, dass die Hauptthemen der Serie die Ausgrenzung, Einsamkeit, Sittlichkeit in der durch Konflikte geplagten Welt, wie auch Natur des Bösens und die Verantwortung des Individuums ihm gegenüber sind.

Als Mutant wird Geralt für ein Monster gehalten, das notwendige Übel. Die Menschen verachten ihn, nutzen aber – obwohl ungern – seine Dienste. Aus der Perspektive des Lesers ist aber Geralt der moralische Protagonist. Geralt versteckt sich hinter dem Hexer-Kodex, weil es bequem ist, gibt aber selbst zu, dass die Gesetze aus der Luft gegriffen sind – er tötet nicht, wenn es nicht notwendig ist, er löst die Flüche, wenn er nur in der Lage dazu ist, und versucht sich nicht in Angelegenheiten anderer einzumischen. Das zuletzt Erwähnte ist leider nicht seine Stärke und er entdeckt nur allzu oft, dass das Schlimmste der Welt nicht eine wilde Bestie ist, sondern Verachtung, Hass, Intoleranz, Rassismus, Gier und menschliche Gemeinheit. Der Hexer versucht die Schwächeren auch vor menschlichen Monstern zu beschützen… Obwohl er dafür nicht mit Dankbarkeit belohnt wird. 

Die Elfen kämpfen um ihr eigenes Land, die Unmenschen leben in Gettos. Minderheiten, frustriert durch Diskrimination und Verfolgungen, hegen ihren Hass gegen ihre Henker. Die im Brokilon Wald lebende Dryaden müssen ständig ihren Staat vor den Menschen verteidigen. Monster, die aus ihrer natürlichen Umgebung verjagt werden, suchen für sich einen neuen Platz in der Welt, wodurch sie aggressiv und unvorhersehbar werden. Regierende nützen Idealisten und Kämpfer für eigene Zwecke, und die Politik hält nichts von der Sittlichkeit. Vorurteile und religiöser Fanatismus führen zu Tragödien, und die einzigen positiven Vertreter des Klerus sind die Priesterinnen der Melitele mit Mutter Nenneke an der Spitze.

Die Frauenrolle im Hexer-Universum ist etwas Einzigartiges. Natürlich befinden wir uns im Quasi-Mittelalter und die Welt wird von Männern regiert, aber die wenigen Frauen, die in der Saga auftauchen, erweisen sich als keine Papierfiguren ohne Charakter, als schwache Damen in Bedrängnis oder Schmuck der ihnen folgenden Männer. Ciri braucht zwar Hilfe, aber sie ist erstens ein Kind, später Jugendliche, hinter der Menschenhorden (und nicht nur) auf der Jagd sind. Yennefer ist diejenige, die ihr das Leben beibringt – die unabhängige und charakterstarke Geliebte Geralts, die ihren eigenen Gesetzen treu bleibt und sich von niemanden einschüchtern und unterdrücken lässt. Man muss auch zugeben, dass auch anderen Frauen des Hexer-Universums an Kompetenzen nicht fehlt. Da gibt es Königinnen, Adelige, Zauberinnen, Dryaden, Kämpferinnen und Banditinnen, manche greifen zum Schwert, andere bedienen sich der Magie, noch andere verlassen sich auf ihren Verstand. Der Einfluss jeder einzelner auf die Zukunft der Welt ist gleich wie der Männer – wenn nicht größer. 

In dieser Welt voller Hass, Verachtung und Gemeinheit kämpfen die Hauptprotagonisten, die nicht ohne Schwächen sind, ums Überleben und alles, was für sie wichtig ist. Dank ihnen und ihren Freunden, wie auch mit Humor gefärbter Erzählweise des Verfassers, ist die ganze Geschichte nicht so düster, wie es aus der obigen Beschreibung hervorgehen mag. 

Screenshot aus The Witcher 3: Wild Hunt: Hearts of Stone; CD Projekt Red, pressematerialien

Videospiele

Mit den Hexer-Videospielen war es so: In den 90er Jahren plante das heute nicht mehr existierende Metropolis Software die Herausgabe eines Actionspiels, dessen Handlung in dem Hexer-Universum stattfinden sollte. Das Projekt wurde annulliert. 2001 veröffentlichte der Verleger MAG ein Papier-RPG-Spiel – „Wiedźmin: Gra Wyobraźni“ – und brachte sogar ein Paar Erweiterungspacks heraus, aber erst das 2007 an die Welt gebrachte Spiel “The Witcher” von CD Projekt Red verlieh der Serie ein neues Leben. 

Es entstand die Basis-Trilogie: „The Witcher“, „The Witcher 2: Assassins of Kings“ und „The Witcher: Wild Hunt“, woraus der letzte Teil zwei Erweiterungen  bekommen hat – „Hearts of Stone“ und „Blood and Wine”. Man muss noch erwähnen, dass abgesehen davon „The Witcher: Versus“ für den Browser und „The Witcher Adventure Game“ für PC entstanden sind, und ab 2017 die arbeiten an „Gwent: The Witcher Card Game” laufen, wobei es sich hier um die Erweiterung eines Minispiels aus dem dritten Teil handelt und Erhebung dessen zum Status eines selbstständigen Spiels, welches man sowohl allein meistern kann, wie auch mit anderen Spielern – was zu seinen größten Vorzügen zählt. 

Die Handlung der Trilogie findet Jahre nach “Die Dame vom See”, den letzten Sagateil, statt. Geralt verliert seine Erinnerungen, was das Spielen ohne Kenntnisse über die Originalvorlage ermöglicht. Mit jedem weiteren Teil tauchen aber immer mehr Motive und Figuren aus den Büchern auf, bis endlich im vierten Teil die Handlung zu diesem Moment führt, wo Geralt Yennefer und Ciri zurückbekommt. 

 

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Inspirationen

Wenn man sich auf die Suche im Internet nach Artikeln über slavische Elemente im Hexer-Zyklus macht, fällt die Dualität des Fandoms ins Auge. Einige sind der Meinung, dass es stimmt, es gebe viele slavische Motive. Andere finden, dass nicht unbedingt, vor allem, wenn man über die Bücher spricht. Die von Netflix angekündigte Serie weckt die Fantasie und viele Emotionen, was zu zahlreichen, oftmals unangenehmen Diskussionen führt. Wie es so im Internet üblich ist.  

Die Hexer-Erzählungen waren am Anfang von Märchen inspiriert. Wir haben einen den Flaschengeist, eine Liebesaffäre zwischen der Schönen und dem Biest, eine verzauberte Prinzessin, einen verfluchten Prinzen, einen Zauber, der um Mitternacht seine Gültigkeit verliert, in einen Menschen verliebte Meerjungfrau, einen in Kormoran verwandelten Baron, Schneewittchen und die sieben Zwerge. Die meisten polnischen Akzente sind in „Die Grenze des Möglichen“ zu finden, wo während der Drachenjagd die Bauern unter der Leitung von Schuhmacher Kozejed, den Reptil ein mit Teer, Schwefel und Waldbeeren ausgestopftes Lamm  aussetzen, was nur allzu sehr an die Legende vom Krakauer Wawel-Drachen erinnert. 

Dies verändert aber nicht die Tatsache, dass Sapkowski ein polnischer Schriftsteller ist und auf Polnisch schreibt. In „Der Rand der Welt“ greift er sehr geschickt nach der polnischen Redensart „tam, gdzie diabeł mówi dobranoc“ (wörtliche Übersetzung: “Da, wo der Teufel Gute Nacht sagt”), womit ein weit entfernter Platz, fern von der Zivilisation, gemeint ist. Der Teufel ist Silvan, der in der polnischen Fassung als “Rokita” bezeichnet wird (in der deutschen als Bocksbein). Rokita zählt zu den polnischen Volksteufeln und sollte die Kaufleute berauben und später die armen Bauern beschenken. In „Der Schwalbenturm“ wendet sich Rittersporn (pl. Jaskier) zu der Tochter des Beutners mit den Worten: „Daj, ać ja pobruszę, a ty skocz do piwnicy po piwo“, welche an den ältesten niedergeschriebenen Satz im Altpolnisch verweisen, der 1270 in “Księga Henrykowska” (“Liber fundationis claustri sanctae Mariae Virginis in Heinrichow”) niedergeschrieben wurde („Daj, ać ja pobruszę, a ty poczywaj“). In “Das Ewige Feuer” wird hingegen die Ballade über Prinzessin Vanda erwähnt, die im Fluss ertrank, weil sie keiner wollte, was eine Anspielung auf die Krakauer Legende über Wanda ist. 

Kleine Besonderheiten dieser Art kommen zahlreich in der ganzen Saga vor, was aber weder einem besonderen Element der Geschichte ausmacht, noch als wichtigeres Motiv oder Inspiration angesehen werden sein darf. Das “Slavische” in polnischer Fantastik wurde außerdem mehrmals von Sapkowski ausgelacht. Ob zurecht? Ja und nein. Man darf nicht vergessen, das der polnische Schriftsteller 1948 geboren wurde und sein Debüt vor seinen 40. Geburtstag stattfand. Beiträge, auf die sich gerne die Befürworter der Theorie, dass in der Hexer-Saga nichts Slavisches zu finden ist, berufen, entstanden in den 90er Jahren. Sapkowski ist zwar ein belesener Mensch, und es fällt schwer seinen Argumenten nicht Recht zu geben, aber wir alle wissen, wie es mit der Meinung so ist – jeder hat seine eigene. 

Es gibt aber Inspirationen, die Sapkowski nicht leugnen kann oder die er offen zugibt. Zu den offensichtlichsten und am lautesten von ihm kommentierten ist natürlich die Artuslegende. Es reicht nicht, dass der letzte Teil der Saga den Titel “Die Dame vom See” trägt; 1995 erschien auf dem polnischen Markt „Świat króla Artura. Maladie“, geschrieben von Sapkowski. In der Veröffentlichung ist ein Essay zum Thema der Artuslegende zu finden, ebenfalls wie eine kurze Erzählung über die Nebenfiguren von “Tristan und Isolde. Im Essay beweist Sapkowski unter anderen, dass der Gral eine Frau war. 

Die Artuslegende gilt als Archetypus der westlichen Fantasyliteratur und ist durch ein paar Elemente gekennzeichnet, die man schnell in der Hexer-Saga finden kann. Ciri und ihre Suche erinnern an die Suche nach dem Gral. Geralt ist nach Percival nachempfunden – durch seine Mutter zu einem einfachen Mann der Artusritter erzogen, der sich unter den Adeligen nicht zurechtfinden könnte, obwohl er mehr erreicht hatte, als sie. Und endlich treten im letzten Band ein paar Figuren auf, deren Erscheinung Sapkowski zwar angekündigt hatte (zum Beispiel in der Erzählung über die Hochzeit von Geralt und Yennefer), aber die trotzdem die Mehrheit der Leser aus dem Konzept gebracht hatte. Darunter auch die unten Unterschriebene, die die Intention des Autors in solchem und nicht anderem Ende der Saga versteht, aber trotzdem die recht allgemeine Meinung teilt, dass man es besser schreiben konnte. 

Und das ist nicht mal der Anfang der Liste! Beim dortigen Äquivalent des Lateinischen, der älteren Mundart und in den unterschiedlichen Dialekten der Elfen, Dryaden, des Königreichs und der Inselbewohner handelt es sich um eine Mischung von der irischen, walisischen, italienischen und schwedischen Sprache. Die Elfen selbst werden in zwei Gruppen geteilt – Aen Seidhe und Aen Elle, das Hügelvolk und das Erlenvolk. Das Hügelvolk trägt den Namen der irischen Fabelwesen aos sí (aes sídhe). Über das Erlenvolk herrscht Auberon, auch Erlkönig genannt (in der deutschen Fassung “König der Älteren”). Auberon ist die französische Form von Oberon, der Figur aus dem “Sommernachtstraum”, von Shakespeare aber der Chanson de geste „Huon z Bordeaux“ entnommen. Der “Erlkönig” stammte wahrscheinlich von Goethe, der sich wiederum von der dänischen Ballade “Elveskud” inspirieren lassen ließ. 

Nicht genug? Die Protagonisten feiern irische und germanische Feiertage: Yule (germanisches Yule) und Belleteyn (keltisches Beltane), Imbaelk (keltisches Imnolc) oder Lammas (christianisierte Bezeichnung des keltischen Lughnasadh). Die Figurennamen sind auch auf gar keinem Fall slawisch… Sogar der Barde Rittersporn hieß in Wirklichkeit Julian… 

Sapkowski ließ sich wirklich inspirieren, aber von der Literatur und Mythologie des Westens. Polnische und slawische Elemente sind Kleinigkeiten, die der Autor hier und dort, wo es ihm passte, hinzugefügt hat. 

Screenshot aus The Witcher 3: Wild Hunt, CD Projekt Red, Pressematerialien

Die Spiele – hier wird es kompliziert

Ein wenig anders sieht es mit den Videospielen aus. Die Hexer-Saga entstand in der Zeitspanne 1986-1999. “Zeit des Sturms” von 2013 funktioniert außer dem Ganzen, so wie Sapkowski selbst, denn ich kann den Eindruck nicht loswerden, dass er sich in der neuen Wirklichkeit nicht wiedergefunden hat. 

Die Wirklichkeit ist wirklich anders, auch wenn einige das nicht zugeben wollen. Computerspiele sind nicht mehr eine Nischenunterhaltung für Freaks, aber ein sich schnell entwickelndes Geschäft. Und mit den Spielen ist es genauso, wie mit Literatur und Film – unter schlechtem und mittelmäßigem Angebot findet man ab und zu richtige Schätze. Die Tatsache, dass wir über ein recht junges Medium sprechen, welches Interesse hauptsächlich bei jüngeren Personen findet, bedeutet nicht, dass – wie es Sapkowski in Worte fasste – Spiele eine Unterhaltungsart sind, die von intelligenten Menschen gemieden wird. Hier das genaue Zitat: “Ich kenne ein paar Personen, die das Spiel spielten, aber nicht viele, denn ich verkehre in Kreisen intelligenter Menschen”.  

Im Falle von Videospielen kann man kaum von der Unterscheidung in hohe und niedrigere Kunst sprechen, wie es in andere Bereichen üblich ist. Grund dafür könnte die Interaktivität der Spiele sein, was aber nicht bedeutet, dass wir hier über Unterschiede auf künstlerischem Niveau nicht sprechen können. 

Die Hexer-Spiele erinnern an ihre literarische Basis vor allem durch die Rezipientengruppe. Es handelt sich um ausgebaute Geschichten, die nicht nur visuell (vor allem die späteren Teile) und musikalisch gut ankommen sollten, aber auch mit Leidenschaft und zugleich verständlich für die Mehrheit rübergebracht werden. Deswegen verliert Geralt seine Erinnerungen und der Spieler erfährt schrittweise über seine Vergangenheit und das Universum. CD Projekt Red wählt nicht den Weg des geringsten Widerstandes und versuchte nicht die literarische Basis ins Spiel umzuwandeln. Es entstand eine Fortführung, die zum Lesen anregt, statt mit der Vision einer langen Lektüre zu erschrecken. “Wenn dir unsere Geschichte gefallen hat, kannst du nach den Büchern greifen”, scheint die Spieltrilogie zu sagen. “Du musst aber nichts lesen, um zu spielen und Spaß haben. Wenn du aber die Bücher gelesen hast, wirst du viele Kleinigkeiten entdecken, die du sonst übersehen würdest!”

Beim Konstruieren der Spiele gingen die Spielmacher in eine andere Richtung als Sapkowski. Sie setzten auf das Slawische und das nicht nur deshalb, weil sie eine polnische Gesellschaft sind, aber weil sie auf der Suche nach Abwechslung auf dem Fantasymarkt waren. Das Slawische wurde auf drei Ebenen erreicht – der inhaltlichen, musikalischen und visuellen, wobei die Akzente unterschiedlich ausgelegt wurden. Der erste “The Witcher” ist ein sehr intimes Spiel. Der zweite ähnelt am meisten den westlichen Fantasyspielen, zeigt aber noch nur einen Ausschnitt des großen Universums. Der Dritte nimmt den Spieler auf eine Abenteuerreise durch unterschiedliche Gebiete und gleichzeitig wird sehr viel Wert auf die Volkstümlichkeit und Folk gelegt. 

 

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Das bedeutet aber nicht, das die Spielmacher nicht aus anderen Inspirationsquellen geschöpft haben – wir finden hier auch Anspielungen an Märchen, die Artuslegenden und an nordische Mythologie. Die Proportion ist aber anders. Die REDs haben nicht nur das Beste aus den Büchern genommen, sie kreierten auch auf ihrer Basis etwas viel mehr Entwickelndes und Bereicherndes als das Original. Und Sapkowski mag sich ärgern, soviel er will, aber meiner Meinung nach (und auch der Meinung von Dimitrij Głuchowski, des russischen Schriftstellers, dessen Romane auch zur Basis hervorragender Spielserie wurden), sollte er sich freuen, dass jemand sein Schaffen so gut ausgebaut hat. 

Ich bin letztens auf eine Umfrage eines großen polnischen Spielportals gestoßen. Die Frage lautete: “Welcher The Witcher war besser – erster oder dritter?” Für die Mehrheit der Spieler war die Antwort einfach und sie wiesen auf den dritten Teil hin, aber viele Personen nannten den ersten Teil aufgrund der Atmosphäre. In der Diskussion erwähnte keiner den zweiten Teil, was mir persönlich zu denken gab. “Assassins of Kings” ist ein sehr gutes Spiel mit interessanter Story, Aufteilung in zwei Wege, welche die Handlung ziemlich fest verändern (dabei handelt es sich nicht nur um unterschiedliche Endungen; ein ganzer Akt ist in zwei vollkommen andere Varianten gegliedert), und mit wunderbaren Dialogen und Protagonisten. Wenn man aber darüber genauer nachdenkt… Vielleicht machte das Spiel keinen großen Eindruck. Der erste Teil war eine positive Überraschung, der dritte überwältigte mit ausgebautem Universum. Der zweite Teil war einfach sehr gut. 

Bestiarium

Um auf das Slawische zurückzukommen – fangen wir mit der einfachsten und offensichtlichsten Sache an, also mit Flora und Fauna des Hexer-Universums an. Manche Monster wurden im Buch beschrieben, andere entstanden für das Spiel und viele andere wurden nur erwähnt. Es fällt schwer sie zusammenzuzählen, zumal mehrere Arten eines Geschöpfs vorkommen. Man kann aber von ca. hundert Kreaturen sprechen, die nur in den Spielen vorkommen. Ein Dutzend von ihnen ist slawisch, obwohl unterschiedlich behandelt. Bevor die slawischen Monster aufgezählt werden, ein kleiner Hinweis – das heutige Wissen über das heidnische Glauben der Slaven ist sehr gering, voller Behauptungen und Ungenauigkeiten, und bei Mangel an Schriftquellen ist es schwer, etwas genau festzustellen. 

Der Basilisk wurde zwar zum ersten Mal von Plinius den Älteren in “Naturgeschichte” beschrieben, aber wurde schließlich in ganz Europa bekannt. Warschau (Warszawa) hat ihre eigene Legende über den Basilisk, der im Untergrund der Stadt lebte, die Schätze bewachte und durch einen Jungen mit einem Spiegel getötet wurde. Nehmen wir an, dass dies auf unsere Liste passt. Golem hingegen ist Teil der jüdischen Folklore, aber die berühmteste Legende erzählt über die Schöpfung des Golems durch einen Prager Rabbiner Judah Löw, der in Posen (Poznań) geboren wurde und ein Teil seines Lebens in Polen verbracht hatte.

Vampire und Werwölfe sind theoretisch slawisch, obwohl die ersten auf mehr exklusiver Art und Weise, denn im europäischen Bewusstsein etablierten sie sich erst im 17. Jahrhundert. Werwölfe hingegen waren in der Fantasiewelt unterschiedlicher Kulturen von Anfang an präsent. Ein interessantes Wesen ist der Verwandte des Vampires – die Striege (pl. Strzyga – weiblich, Strzygoń – männlich), die von den römischen “striges” stamm. Die Slawen glaubten, dass manchmal Menschen mit zwei Seelen, zwei Herzen und doppelten Zähnen geboren werden (dazu zählten auch Kinder, die mit Zähnen auf die Welt kamen). Nach dem ersten Tod kamen sie zurück als Wesen, die sich mit Blut und Eingeweide ernährten und für das ihnen angetane Leid rächten. Die christianisierte Striege bekam eine weitere Erklärung. Man glaubte, dass während der Taufe nur eine der Seelen das Sakrament erhielt, die Zweite, nicht getaufte, konnte nach dem Tod nicht ruhen und die Erde verlassen, weshalb sie sich in ein Monster verwandelte. Interessanterweise findet man in den Legenden der Bergbewohner um den Weiberberg (Babia Góra) die Gestalt einer Striege-Gräfin, die in der Kirche, in welcher sie bestattet wurde, herumirrt. Man konnte sie nur besiegen, wenn man mit Kreide einen Kreis um einen Sarg herum gezeichnet hatte und danach in diesen Sarg die Nacht verbrachte – genauer gesagt, bis zum Sonnenaufgang, zum dritten Schrei des Hahns. Genau so befreit Geralt in “The Witcher” Adda vom Zauber. 

Screenshot aus The Witcher 3: Wild Hunt, CD Projekt Red, Pressematerialien

Blut trank auch die Nachtalb (pl. zmora), anders Mahr (pl. mara), geboren aus der Seele einer Sünderin oder einer Person, die ohne Beichte gestorben ist bzw. der während des Lebens Unrecht getan wurde. Im zentralen Teil Polens glaubt man, dass Personen zur Nachtalb werden, wenn der Pfarrer während der Taufe sich verspricht und anstatt “Zdrowaś Mario” “Zmoraś Mario” sagt (de. “Gegrüßet seist du, Maria”). Die Nachtalb würgt Menschen im Schlaf, verursacht Schlafparalyse, quält Tiere (besonders Pferde, auf dessen Rücken sie in Mondlicht galoppiert) und nimmt Tiergestalt an. Um sich vor ihr zu hüten, sollte man umgekehrt im Bett liegen und über den Eingang zum Pferdestall eine tote Elster oder einen Spiegel anschlagen. Die Nachtalb sollte so hässlich gewesen sein, dass sie von ihrem Spiegelbild weglief. 

Die slawische Dämonologie kennt auch die Mittagserscheinungen (pl. południce) und Nachterscheinungen (pl. północnice). Im Spiel hat man aus ihnen Zwillinge gemacht, aber die Sache ist viel komplizierter. Die Nachterscheinungen gehören zu eher wenig bekannten Dämonen. Sie quälten Säuglinge, indem sie sie nachts aufgeweckt hatten. Anders sieht es mit den Mittagserscheinungen aus, die im polnischen, tschechischen, slowakischen, sorbischen und russischen Glauben auftreten und eigentlich als Äquivalent der südslawischen Wila gelten. Sie sollten von Seelen der Frauen geboren sein, die bevor, während oder kurz nach der Eheschließung gestorben sind. Sie entführten Kinder, erzählten Rätsel und griffen Bauern an, die mittags auf dem Feld gearbeitet hatten. Mittagserscheinungen wurden auch mit kleinen Luftwirbeln gleichgesetzt, die auf den Feldern in heißen Sommertagen entstanden.

Die Pestmaid (pl. morowa dziewica, in der Mythologie auch als Pestmagd oder Pestjungfer bekannt), die Personifikation des Todes, besuchte Dörfer und Städte und indem sie mit einem blutbefleckten Tuch winkte, brachte sie die Seuche. Im Gebet “Vor Pesthauch, Hunger, Feuer und Krieg erlöse uns, o Herr!” steht sie auf dem ersten Platz, denn davor hatten die Menschen die größte Angst. Man kämpfte gegen die Pestjungfer mit magischen Ritualen. Einige von ihnen waren äußerst grausam. 1831 in Polesien wurde eine Frau lebendig mit einem Hahn begraben, um so die Bewohner vor der Pest zu schützen. 

Eine weitere schreckliche Frauengestalt ist das Gruftweib (pl. Baba Cmentarna), die aus der Gegend von der polnischen Stadt Radom kommt, die Gräber derjenigen zerwühlt, die plötzlich gestorben sind, Knochen verstreut und lebendige Menschen in die Gräber hineinzieht. 

Ein lokales Ungeheuer ist auch Glumaar, der ursprünglich Scharley (pl. Szarlej) in der deutschen Sprachversion heißen sollte. Szarlej ist der älteste Stadtbezirk von Piekary Śląskie (Deutsch Piekar) und seine Bezeichnung sollte ihre Wurzeln in Szarlej/Szarlen haben, den Herrscher über diese Gegend, der Rache auf den Bergarbeitern nahm und auch als Schatzmeister bekannt wurde. Interessanterweise trägt diesen Namen der Hauptprotagonist von “Die Narrentum-Trilogie” einer anderen Saga von Sapkowski. 

Der Koschtschei (pl. kościej), der sowohl im Spiel, wie auch in der Erzählung von Sapkowski, als eine durch Magie entstandene Kreatur vorkommt, ist in Wirklichkeit ein böser Zauberer aus russischen Sagen und Märchen. Es ist nicht das einzige Ungeheuer, von dem nur der Name übrig geblieben ist. Zwar wird die Kikimora erwähnt, nie wird sie aber genau beschrieben. In „Rękopis znaleziony w smoczej jaskini“ (dt. Manuskript gefunden in einer Drachenhöhle, nicht übersetzt), einem Fantasyhandbuch von Sapkowski, kann man mehr Informationen über die Herkunft dieses Wesens finden. Die aus den russischen Legenden stammende Kikimora ist eine kleine, manchmal unsichtbare Frau von Domovoy, die aber nicht so freundlich war, wie er. Kikimoren verwirrten das Garn, weckten die Kinder auf, verursachten viele Schaden. Selbst mochten sie das Weben und die Spinnerei, aber der Klang ihrer Spindel war ein schlechtes Zeichen. Kikimora kommt in zwei Spielen vor (dem ersten Teil und der Spielerweiterung, wo sie als ein Insekt dargestellt ist, die in Kolonien lebt, die der Ameisenwelt ähneln). 

Der russische Schutzgeist des Hauses Domovoy kommt in der Hexer-Saga nicht vor. Stattdessen treten in dem dritten Teil des Spiels zwei andere Geister dieser Art vor – die Göttlinge (pl. bożątko). Diese Wesen bilden das altpolnische Äquivalent für Domovoy. Auch sie stammen von den Geistern der Vorfahren und bringen Wohlstand ins Haus. Im Videospiel ähneln die schelmischen aber guten Wesen paar Jahre alten Kindern. 

Neben den Göttlingen werden zwei andere Wesen aufgezählt – Jaroszek und Mamuna. Jaroszek ist ein schlesischer Dämon, der sich auf den Feldern aufhält und sich oft in Fasane, Rebhühner und Hasen verwandelt, um Jäger auf die Sumpfgebiete zu locken, wo sie dann ertranken. Gelang aber die Jagd und wurde ein Jaroszek gefangen, verwandelte er sich in einen weiteren hilfreichen Hausdämon. Mamuna ist in der Mythologie die Seele einer verstorbenen schwangeren Frau oder einer Frau, die während der Entbindung starb. Sie wurde als eine pelzige tierähnliche alte Frau dargestellt, die Schwangere und Hebammen ärgert und Kinder entführt oder sie umtauscht. Man glaubte, dass Behinderte solche umgetauschte Kinder sind. Um die Entführung zu verhindern, band man den Kleinen rote Schleifen oder Fäden um das Handgelenk, was man noch heute in Schlesien beobachten kann. Man bindet rote Schleifen an die Kinderwagen oder zieht den Kindern rote Mützen an. 

Mit Mamuna ist Dziwożyna verwandt – die hässlichen und buckeligen Frauengestalten umtauschten ebenfalls die Kinder. Wenn man sein eigenes Kind wiedergewinnen wollte, musste man das vertauschte hochwerfen. Als Dziwożyna das Weinen von ihrem Nachwuchs hörte, nahm sie es und gab das menschliche Kind zurück. Im Hexer-Universum ist es eine andere Bezeichnung für Dryaden (ursprünglich einer Waldnixe). In der Saga haben die Dryaden ebenfalls menschliche Kinder zu sich genommen und als eigene erzogen.

Höchste Zeit, den Waldschrat zu erwähnen (pl. Leszy) – Herrscher des Waldes und alle seiner Bewohner, der auch “Borowy”, “Laskowiec” oder “Boruta” genannt wurde. Als ein bleicher Mann dargestellt, hoch, wie die ihn umgebende Bäume, nahm er auch die Gestalt der Tiere oder des Windes an. Die Menschen behandelte er nach ihrem Verhältnis zu seinem Königreich. Haben sie den Wald geschätzt, half ihnen Leszy den Weg nach Hause zu finden und schützte sie vor Räubern und wilden Tieren. Denjenigen, die es wagten, ihn zu beleidigen, erschwerte er die Rückkehr. Das Wesen überlebte im Volksglauben bis zum 19. Jahrhundert – Bohdan Baranowski zitiert eine Sage, in welcher Leszy einem Fahnenflüchtiger in der Flucht aus der zarischen Armee hilft. Die Taufe Polens brachte dem Wesen eine neue Gestalt – er wurde zum Teufel Boruta, den berühmteren Verwandten von Rokita, der das Symbol des Lenczyca Landes ist (Ziemia Łęczycka). Boruta wurde als ein Adliger in Kontusz und mit Schnurrbart dargestellt, der trotz seines teuflischen Ursprung der Armen und Leidenden zu Hilfe stand.  

Am meisten bleibt aber Fehlgeborene (pl. Poroniec) im Gedächtnis haften, der in der dritten Teil des Spiels auftaucht. Der mächtige Dämon, feindlich gegenüber den Menschen, wurde aus Seelen nicht geborener Kinder – sei es bei der Fehlgeburt oder Abortion – oder Kinder, die tot zur Welt gekommen sind, verstorben sind oder von der Mutter ermordet und nicht gerecht bestatten wurden, geboren. Der Glaube war mit vielen Verboten bezüglich der Schwangerschaft und Entbindung verbunden. Erst sechswöchige Säuglinge bekamen einen Namen und wurden als Menschen angesehen. Der Geburt von einem Poroniec konnte man vorbeugen, indem man die Leiche unter der Türschwelle des Hauses versteckt hatte. Das Kind verwandelte sich dann in Kłobuk, ein Wesen, welches sich um den Haushalt sorgte (auch wenn es die Nachbarn bestahl). Dieselben Annahmen und dasselbe Ritual kommen auch im Spiel vor. Der Glaube in Kobłuk war in Ermland und Masuren, vor allem in den polnischsprachigen Regionen Ostpreußens, bekannt. 

Im jedem Spiel kommen Ertrunkene (pl. Utopce) vor, die zu den Sumpfkreaturen zählen. Der Glaube an sie war in ganzen slawischen Raum verbreitet, am meisten aber in der Nähe vom Wasser. Manchmal wurden sie mit Wassermännern (pl. Wodnik) gleichgesetzt. 

Diese Schutzgeister des Wassers treten aber in den Videospielen nicht auf. Topielce wurden aus den Seelen der Ertrunkenen geboren – so geht es aus dem Volksglauben hervor. Sie ertranken Menschen und Tiere und überschwemmten die Felder und Wiesen. Im Spiel sind sie Aasfresser. Das Wasserweib war Partnerin eines Ertrunkenen, die Seele einer Frau, die jemand ertränkte oder sie es selbst aus Trauer und Kummer getan hat. 

Es gibt noch die Teufel – außer dem schon erwähnten Silvan gibt es noch in “The Witcher 3: Wild Hunt” den Tschart (pl. czart) und Bies (pl. bies). Bies ist ein bisschen älter und bekannter, Czart hingegen russisch. Nach der Christianisierung wurden sie zum Synonym des Teufels, denn auch bei ihnen handelt es sich um böse, menschenfeindliche Geister. Z. B. Czart überredete die Menschen zum Selbstmord. 

Zu guter Letzt paar Worte über die Wilde Jagd, die großteils mit den nordischen und keltischen Legenden verbunden ist. Die Sage kam aber auch nach Mitteleuropa. Das Motiv einer grauenhaften Jagd wird unter anderen in “Sintflut” von Henryk Sienkiewicz und “Die Hochzeit” von Stanisław Wyspiański erwähnt. 

Dieses Bestiarium, obwohl um andere in der Fantastik verbreitete Wesen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft (Greife, Ghule) erweitert, erwies sich nicht nur als originell; es ergänzte und hob die mehr feine Art und Weise des Baus slawischer Spiele hervor. 

Screenshot aus The Witcher 3: Wild Hunt, CD Projekt Red, Pressematerialien

Stimmung

Ich empfehle jedem, sich den Soundtrack zu jeden Teil des Spiels anzuhören. An Musik zu den ersten zwei Teilen von “The Witcher” arbeitete Adam Skorupa – zuerst mit Paweł Błaszczak, dann mit Krzysztof Wierzynkiewicz. Mit dem Soundtrack zum ersten Teil kommt eine Kompilation mit Songs unterschiedlicher polnischer Bands, u. a. der geschätzten Death-Metal-Band Vader. 

Die Musik zu “The Witcher 3: Wild Hunt” entstand in Zusammenarbeit von Marcin Przybyłowicz und der 1999 gegründeten Band Percival (bekannt auch als Percival Schuttenbach), dessen Name von einer der Figuren der Hexer-Saga stammt. Die Gruppe befasst sich sowohl mit Folk Metal, wie auch historischer Rekonstruktion. Bei den Aufnahmen wurden viele rare Instrumente, wie Lyra, Laute oder Davul verwendet. Die Musik, inspiriert durch polnischen, russischen, ukrainischen, schottische, keltischen und skandinavischen Folk, wie auch den Soundtrack aus vorherigen Teilen, ist wirklich einzigartig. 

Wichtig sind auch die visuellen Aspekte. “The Witcher” ist ein sehr intimes Spiel. Neben der verfallenen Festung der Hexer, besuchen wir Vizima und erkunden ihre Umgebung. Ein Teil der Lokationen ist sehr grau und regnerisch, was für eine spezifische Stimmung sorgte. Auch dort, wo die Sonne schien, mangelte es an Gebäuden und dichterer Bebauung. Umland erwies sich als ein unauffälliges Dorf, die Bauten in beiden Stadtbezirken waren nicht gerade beeindruckend. In dem ärmeren Stadtteil waren es kleine Mietshäuser, hässliche Kanäle und dem Wirtshaus umgebende Slums. Im reicheren Teil waren Blumen, gepflegte Fassaden und Straßen zu sehen, aber es war nichts Beeindruckendes. Grau und wild waren die Sumpfgebiete und das ein bisschen mehr farbenreiche und sonnige Dorf von Trübwasser machte den falschen Eindruck eines friedlichen Ortes. Die melancholische Musik passte sehr gut zu solcher Szenerie. 

Im zweiten Teil erinnern die Landschaften an Westeuropa. Die monumentale Belagerung am Anfang des Spiels mit den enormen Maschinen und Burgen stimmt mit lassischer Fantasy überein. Alles schön und gut, wenn wir uns nicht im selben Jahr befinden würden. Im ersten Teil war die Hauptstadt Temerien noch klein und verwahrlost, und auf einmal hat der König genug Geld für den Unterhalt einer großen Armee und die Burg der rebellierenden Familie ist größer als das ganze vorherige Spiel?

Wahrhaft überwältigend erwies sich der dritte Teil des Spiels. “Wild Hunt” nimmt uns auf eine Reise durch mehrere Regionen. Wieder haben wir die Hexer-Festung Kaer Morhen, das Dorf bei Vizima und die Burg des Königs, aber Geralt wandert außerdem durch das durch Krieg vernichtete Niemandsland, die schöne Stadt Novigrad und seine Umgebung, die (schottisch-nordische) Skellige-Inseln und das märchenhafte (französische) Toussaint (Erweiterung “Blood and Wine”). Wieder kommt das Slawische zum Vorschein, eben in Velen und in der Gegend um Novigrad, aber auch in Weißgarten, wo die Dörfer und ihre Bewohner nur allzu sehr den polnischen Spieler an Besuche in Freilichtmuseen, Geschäfte mit Folklore und Auftritte von Volksbands erinnern. Wenn man unbedingt gemein sein will, kann man feststellen, dass das Slawische immer wieder Konnotationen mit dem Dorf hervorruft. Die polnische Wirtschaft basierte sehr lange auf der Landwirtschaft und der polnische Adel machte viel Geld mit Getreideexport, weshalb die Urbanisationsprozesse bis zu den 20. Jahrhundert langsamer vorangingen als im Westen. 

Story

Ich habe den Fehlgeborenen, die Wilde Jagd, Striegen und Göttlinge erwähnt, die in wichtigen Momenten der Handlung im Spiel auftreten, aber das ist nicht das Ende der Inspirationsquelle von CD Project Red. 

Es ist unmöglich alles aufzulisten – ich bin mir nicht mal sicher, ob ich in der Lage bin, jede Kleinigkeit zu finden, aber ich würde noch gerne über vier Spielabschnitte sprechen, die meiner Meinung nach bemerkenswert und eindeutig polnisch sind.

Der erste von ihnen kommt aus dem ersten Teil des Spiels. Im vierten Akt gelang Geralt ins Dorf von Trübwasser, wo Vorbereitungen zur Hochzeit der Tochter des Bürgermeisters Alina und des reichen Kaufmanns Julian stattfinden. Alina wird vom Vater bevorzugt auf Kosten ihrer älteren Schwester Celina. Es gibt noch Adam, der in Alina verliebt ist. Man kann vermuten, dass dies kein gutes Ende haben wird. 

Der polnische Spieler musste gar nicht lange nachdenken, denn “Balladyna” von Juliusz Słowacki wird in den Schulen analysiert. Im Spiel wird die Geschichte verkürzt und vereinfacht, und aus einer Geschichte von Machtgier und fortschreitender Degeneration des Mörders im Geiste von Macbeth, entwickelt sich die Geschichte von zwei Schwestern eher zu einer tragischen und traurigen, obwohl nicht ausgebauter Geschichte über Eifersucht und Rache… Das Team von Studio Red hat sich den Lob verdient, da es nicht nur diesen Klassiker der polnischen Romantik ins Spiel eingeflochten hat, aber auch noch die Figur Adams dazugegeben hat, die wiederum an den Konflikt von Słowacki mit einem anderen großen polnischen Schriftsteller – Adam Mickiewicz – erinnert. Kaum ein Polonist in der Schule übergeht diesen Konflikt stillschweigend. 

Screenshot aus The Witcher 3: Wild Hunt, Blood and Wine; CD Projekt Red, Pressematerialien

Im dritten Teil des Spiels, wenn Geralt das durch Krieg zerstörte Velen bereist, trifft er eine bekannte Zauberin, die ihm eine Aufgabe gibt. Geralt soll sich auf die Reuseninsel begeben, wo der Magier Alexander in seinem Turm über eine gefährliche Seuche forscht. Die Experimente werden auf Ratten durchgeführt, die von herzlosen und feigen Graf Vserad geliefert werden. Als die Truppen des Feindes sich näherten, kam der Graf mit seiner Familie in den Turm, wo aufgrund einer Tragödie alle ums Leben gekommen sind. Geralt soll die Sache ermitteln und herausfinden, was passierte, Notizen des Magiers aufsuchen und den Fluch der Insel aufheben. 

Grundlage für die Aufgabe auf der Reuseninsel ist die Legende über Popiel, der von den Mäusen gefressen wurde. Anders als bei “Balladyna” wurde die Geschichte zwar nur ein wenig verändert, aber bemerkenswert ausgebaut und durch Handlungsmotive und Figuren erweitert, wie auch tragischer gestaltet. Ich will hier nicht die Einzelheiten verraten, denn das gehört sich nicht, aber ich kann sagen, dass Popiel sich sein Ende verdient hat. Im Falle von Reuseninsel bricht sogar das beste Ende der Geschichte das Herz. 

Nachdem der Fluch aufgehoben wurde, bietet Waideler (pl. Guślarz – slawischer Schamane, Magier, Hellseher) Geralt um Unterstützung bei Ahnenfest (pl. Dziady). Bei Dziady handelt es sich um einen Brauch, der den Lebenden den Kontakt zu ihren Vorfahren ermöglicht hatte. Die Bezeichnung ist russischer Herkunft, aber ähnliche Bräuche gab es im ganzen slawischen Raum. Dziady sind den polnischen Spieler gut bekannt, denn unter diesem Titel entstanden vier Dramen von schon erwähnten Adam Mickiewicz, die ebenfalls in der Schule besprochen werden. Die Aufgabe ist recht kurz, aber die Kombination von magischen Sprüchen des Waidelers, dem Gesang des Chors und der Musik bleiben lange in der Erinnerung. 

 

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“Hearts of Stone”

In der ersten Erweiterung zum dritten Teil des Spiels wird das Polnische besonders hervorgehoben. Alles beginnt damit, dass Geralt den Auftrag von Olgierd von Everec annimmt. Auf dem ersten Blick mag es wie jede andere Aufgabe aussehen, sie entwickelt sich aber in eine lange Geschichte, in welcher wir über die Vergangenheit und Sünde von Olgierd erfahren – und wir bestimmen können, wie seine Erlösung durchgeführt werden soll. 

“Hearts of Stone” beruht auf zwei Pfeilern – auf dem Roman “Sintflut” von Henryk Sienkiewicz und Pan Twardowski, der Figur aus polnischen Legenden und Märchen, die der “polnische Faust” genannt wird. 

Man muss zugeben, dass Twardowski an vielen Stellen an Faust erinnert. Beide sind durch historische Figuren inspiriert. Jan Twardowski war einer der Schwarzkünstler auf dem Hof von dem polnischen König Sigismund II. August. Der Legende nach sollte er den Geist der verstorbenen Ehefrau des Herrschers Barbara Radziwiłłówna beschwören. Twardowski schloss einen Pakt mit dem Teufel und verkaufte die Seele für Wissen und magische Kenntnisse. Der Teufel durfte seine Seele nur aus Rom holen, wo sich aber der kluge Magier nicht begab. Der Teufel schnappte sich ihn aber in einem Wirtshaus unter den Namen “Rom”. Twardowski gelang aber die Flucht und er befindet sich jetzt auf dem Mond, woher er bis heute die Erde beobachtet. 

In “Hearts of Stone” haben wir sowohl einen adeligen Magier, einen Pakt mit dem Teufel, wie auch den Mond. Was fehlt, ist Rom und statt des christlichen Teufels, der bei den Sarmaten sowieso schelmischer und drolliger war als furchterregend (manchmal sogar freundlich, wie in manchen Legenden über Boruta und Rokita), bekamen wir einen wahrhaft angsteinjagenden Gaunter o’Dim. Selbst bei seinem Sinn für Humor laufen die Schauer über den Rücken. Es reicht, wenn der Dämon auf der Hochzeit einen Ausschnitt aus einer Werbung von einer bekannten Supermarktkette deklamiert – es die furchterregendste Anweisung, wie man Pfannkuchen bäckt, die ich je gehört habe.  

Screenshot aus The Witcher 3: Wild Hunt, Hearts of Stone; CD Projekt Red, Pressematerialien

Die Legende über Twardowski passt sehr zu “Sintflut”, denn beide stützen sich auf sarmatische Realien. Der historische Roman “Sintflut”, dessen Handlung ins 17. Jahrhundert versetzt ist, gehört auch zum obligatorischen Schullektüren (und man muss zugeben, das Buch ist richtig dick), und ist ein Teil der Trilogie von Sienkiewicz, deren gelungene Verfilmungen den Polen – und nicht nur – sehr bekannt sind. Kontusz, Säbeln, rasierte Köpfe und Schnurrbart, dazu noch der Stolz auf seine Herkunft und Liebe zur Freiheit – der polnische Spieler weiß gleich, wer Olgierd und seine Bande sind. Und als sie zu toben beginnen, wissen wir auch, dass es sich um Kmicic handelt, dessen Fall und Erlösung Sienkiewicz in “Sintflut” beschrieben hat. Olgierds Frau, Iris, kommt aus der Familie Biletitz – die Geliebte von Kminic hieß mit ihren Nachnahmen Billewicz. Sowohl Kminic, wie auch Panna Alexandra waren Litauer – Olgierd und seine Familie tragen den Namen der litauer Herrscher (Kenstut und Witold). Zwar kommen sie aus einer früheren Epoche (14./15. Jahrhundert), aber es ist den Polen aus dem Geschichtsunterricht gut bekannt. Noch zu wenig? Olgierd zitiert und paraphrasiert Kmicic! Der Kampf mit ihm ist auch voller Anspielungen an das Duell von Kmicic und der Romanfigur Wolodyjowski. Selbst die Narbe auf dem Kopf weckt Konnotationen. 

Zu guter Letzt wird noch das Hemdzerreißen an der Türschwelle erwähnt (damit gelangen wir in das 18. Jahrhundert). Vielleicht erinnern sich nicht alle, wieso Reytan sein Hemd zerrissen hatte, aber das Gemälde von Jan Matejko („Reytan – der Fall Polens“, 1866), das dieses Ereignis darstellt, illustriert in vielen Geschichtsbüchern die Kapitel, die der Teilung Polens gewidmet sind. 

Zukunft einer Marke

Dank den Spielen, wurde das Hexer-Universum zu einer internationalen Marke. Die kommende Serie von Netflix (mit Henry Cavill in der Hauptrolle) kann dazu beitragen, dass die Anzahl von Geralt-Fans noch steigen wird. Vielleicht werden wir mit einem Phänomen zu tun haben, wie “The Game of Thrones”?

CD Projekt Red denkt nicht mal daran, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Weiterhin wird an “Gwent” gearbeitet und das Studio hat schon ein selbstständiges Spiel „Thronebreaker: The Witcher Tales“ angekündigt – eine Verbindung von einem RPG- und Kartenspiel. Die Premiere ist für den 23. Oktober geplant. 

Im polnischen Internet brodelt es die ganze Zeit. Jeden Tag werden neue Gerüchte über die Serie in Umlauf gesetzt und jegliche Infos über die Besetzung der Rolle von Ciri durch eine nicht weiße Person, raubt den Schlaf einiger Fans. Manche kommen mit den Argumenten über die Historizität des Hexer-Universums, das überhaupt nicht historisch ist. Sapkowski selbst liebt Anachronismen und die Themen seiner Werke sind sehr aktuell. In letzten Tagen machte der Verfasser selbst viel Wind um sich herum, als ob seine kontroversen Äußerungen und Benehmen schon nicht die Fans polarisieren würden. Sapkowski verkaufte vor Jahren die Rechte für die Spiele für eine festgelegte Summe (ca. 40 Tausend Zloty), denn er glaubte nicht, dass die Spiele erfolgreich werden. Er verzichtete auf den Verkaufszins. Jetzt versucht er sich auf das polnische Urheberrecht zu berufen und verlangt von dem Studio 60 Mio. Zloty. Schwer zu sagen, wie der Streit enden wird. 

Das Beharren auf die Meinung, dass die Hexer-Saga slawisch ist, ist übertrieben. Die Bücher schöpfen hier und dort aus der slawischen Mythologie, aber es handelt sich nur um ein paar episodische Auftritte und nichts mehr. CD Projekt Red reichte tiefer in die slawische Wurzeln, besonders in der Erweiterung zum dritten Teil des Spiels, jedoch trotzdem bleibt die Hexer-Serie ein Fantasy-Spiel im Stil des Westens. Neben den Striegen und Waldschrat haben wir auch Greife, Harpyien und Zyklopen. 

Man darf aber nicht vergessen, dass Andrzej Sapkowski ein Pole ist, die Hexer-Saga auf Polnisch geschrieben worden ist und dass CD Projekt Red ein polnisches Studio ist. Man kann das Gestammel über die Historizität des Universums auslachen oder sich über die Empörung über eine dunkelhäutige Ciri ärgern, aber man darf nicht vergessen, dass die Polen sich wie eine Minderheit in der internationalen Popkultur fühlen – eine Minderheit, die ausgelacht, verachtet und ignoriert wird. Dies zeugt von einer Überempfindlichkeit, aber es fällt schwer sich nicht zu ärgern, wenn man wieder einen polnischen Schauspieler in der Rolle eines bösen Russen sieht, oder wenn man sich wieder eine amerikanische Interpretation des dummen Poles in genauso dummer Komödie anschaut. 

Für Unruhe unter den polnischen Fans sorgte die Information, dass Tomasz Bagiński, der laut ersten Bekanntmachungen an Regie wenigstens einer Folge pro Staffel beteiligt werden sollte, nicht auf der Liste der Regisseure der ersten Staffel zu finden ist. Aus diesen Gründen, obwohl ich mit meinem ganzen Herzen für das gesamte Team der Netflix-Serie schon jetzt stehe, drücke ich die Daumen für einen polnischen Akzent. Ich will daran glauben, dass man aus der Hexer-Saga eine vollberechtigte internationale Marke machen kann, ohne dabei ihre Wurzeln zu vergessen. Das ist für die Polen sehr wichtig – nicht nur für die Fans, aber auch für diejenigen, die sich die Serie ansehen werden. Und was daraus herauskommt? Das werden wir wahrscheinlich erst 2019 oder 2020 erfahren, denn erst dann können wir mit der Premiere rechnen. 

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Übersetzung: Emanuela Janda

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