Seit Jahren fragen sich die Breslauer, was die Unterwelt des Hauptbahnhofs wirklich verbirgt. Gibt es dort tatsächlich einen Tunnel? Eine jüngste Entdeckung eines Breslauer Historikers wirft neues Licht auf diese Frage.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs ging ein großer Teil der Bauunterlagen von Breslau / Wrocław verloren, und deshalb gibt es kaum Beweise für die Existenz von Tunneln unter dem Hauptbahnhof. Das ist wiederum ein fruchtbarer Boden für die Entstehung von Legenden.
Und so meinen manche, dass gerade unter dem Hauptbahnhof eine Strecke für Lastwagen verläuft, andere sprachen von einer Untergrundbahn, und wieder andere behaupteten sogar, eine Schmalspurbahn mit eigenem Bahnhof gesehen zu haben. Zudem konnte man angeblich durch die Tunnel verschiedene Orte erreichen. Und zwar die Kasernen in Masselwitz / Maślice, die Militäreinheit in Oltaschin / Ołtaszyn, das Grand Hotel sowie das Rathaus am Breslauer Ring.
„Doch niemand hat je auch nur den kleinsten Beweis vorgelegt. Und die jetzt gefundenen Pläne schließen mehrstöckige Tunnel oder Kasematten eindeutig aus. Man muss das Ganze eher als städtische Folklore betrachten“, erklärt Stanisław Kolouszek, aus der Breslauer Vereinigung für Festungsanlagen (poln. Wrocławskiego Stowarzyszenia Fortyfikacyjnego), Autor des Buches “Fortyfikacja – Festung Breslau”, der vor kurzem deutsche Baupläne der Bahnhofsunterwelt gefunden hat.
Originalpläne der Untergeschosse gefunden
„Ich suchte Materialien für meine Arbeit über den Bau großflächig unterirdischer und oberirdischer Schutzräume in Breslau / Wrocław in den Jahren 1940–1943. Da mir andere Unterlagen fehlten, beschloss ich, die Akten des Magistrats auf Kanalisationsanschlüsse hin zu durchsuchen, denn diese Institution musste sie ja haben. Auf diese Weise stieß ich schließlich auf einen Plan mit den eingezeichneten Maßen des Schutzraums“, sagt Kolouszek gegenüber Gazeta Wroclawska.
Der Bunker befand sich unter dem Platz vor dem Haupteingang. Der gefundene Plan stammt aus dem Jahr 1941, und den Bau führte im Juli 1942 die Firma Union Bau aus.
Sind die Untergeschosse des Breslauer Bahnhofs mit Wasser geflutet?
„Spannende Mythen berichten davon, dass die Deutschen beim Rückzug ein unterirdisches Krankenhaus mit Wasser überfluteten. Das stimmt leider nicht, weil es unter diesem Objekt gar keine echten Untergeschosse mehr gab“, ergänzt der Forscher.
Doch wie so oft steckt in den Mythen ein Körnchen Wahrheit. Manche erinnerten sich daran, dass man in den Tunneln tauchen konnte. Und tatsächlich blieb der ungenutzte Bunker ungefähr bis 1962 unter Wasser. Erst Anfang der 1960er-Jahre sanierte man die Anlage so weit, dass sie für den Zivilschutz brauchbar war.
Für alle Fans von Verschwörungstheorien und Stadtlegenden kann Kolouszeks Entdeckung ernüchternd wirken. Denn die Unterlagen zeigen eindeutig, dass es keinen Plan mit eingezeichneten Räumen gibt. Der Historiker schließt zwar nicht aus, dass jemand eines Tages weitere Dokumente findet, aber vorerst muss man sich auf die neuesten Beweise stützen.
Quelle: gazetawrocławska
Foto: Pixabay