(Ein Kommentar von Witold M. Orłowski)
Witold M. Orłowski
Wirtschaftswissenschaftler, Rektor an der Vistula University
In seiner wirtschaftlichen Geschichte der letzten 25 Jahre hat Polen verschiedene Zeiten erlebt. Bessere und schlechtere, mit schnellerem und langsamerem Wachstum, mit besserem und schlechterem Image bei weltweiten Investoren. Es gab mehrjährige Wachstumszeiten mit einem jährlichen BIP-Wachstum von 6 bis 7 Prozent und es gab auch Perioden mit einem wesentlich langsameren Wachstum von nur 3 bis 4 Prozent im Jahr. Es gab Zeiten, da rangierte Polen ganz oben unter den begehrtesten Investitionsstandorten in Europa, um Längen vor Russland, Frankreich und Spanien. Es gab aber auch Zeiten, da entschieden sich Investoren eher für das viel kleinere Tschechien als für Polen.
Zurzeit hat sich Polens Entwicklung etwas abgeschwächt. Das Wirtschaftswachstum oszilliert um die 3 Prozent und die Investoren beäugen das Land zurückhaltend in ihrer Überzeugung, dass es in Mittelosteuropa auch andere gute Orte für neue Fabriken und Entwicklungszentren gibt. Auf den Märkten herrscht eine beträchtliche Ungewissheit, die Ratingagenturen sehen sich den polnischen Staatshaushalt aufmerksam an. Innenpolitisch gibt es viel Durcheinander, was den Investoren stets missfällt. Kurzum: Es hat bessere Tage gegeben…
Aber wir sollten auch nicht übertreiben..
Erstens hängen die Probleme, mit denen die polnische Wirtschaft heute konfrontiert wird, vor allem mit der weltweiten Unsicherheit zusammen und nicht mit irgendwelchen besonders schlechten Nachrichten aus dem Inland. Die polnische Wirtschaft ist heute so stark in die europäische und die Weltwirtschaft integriert, dass sie auf jede Verschlechterung der globalen Stimmungslage sofort reagiert. Wenn der Złoty gegenüber dem US-Dollar schwächer wird, dann geschieht dies aufgrund der Ungewissheit über die Politik, die der neue Präsident der USA betreiben wird. Wenn das Tempo des BIP-Wachstums relativ gering ist, so liegt die Hauptursache für gewöhnlich in der schwächer gewordenen Wirtschaftsleistung Westeuropas.
Zweitens hat Polen noch immer ein enormes Entwicklungspotenzial. In den beiden vergangenen Jahrzehnten war es die sich am schnellsten entwickelnde Volkswirtschaft in Europa, die seit Beginn der 1990er Jahre nicht einmal ein Quartal mit sinkendem BIP erlebt hat – nicht einmal beim Ausbruch der globalen Finanzkrise, als der gesamte Rest Europas in eine tiefe Rezession fiel. Ein BIP-Wachstum von ca. 3 Prozent, das für 2017 erwartet wird, kann im Rückblick auf die Leistungen der Vergangenheit zwar nicht beeindrucken, für die europäischen Verhältnisse aber ist dieses Wachstum durchaus solide.
Drittens hat Polen nach wie vor eine starke Konkurrenzstellung inne. Als Mitglied der Europäischen Union hat es den vollen Zugang zum gesamten europäischen Markt und bietet den Investoren dabei gut ausgebildete Arbeitskräfte für ein Viertel des Verdienstes in Deutschland an. Der relativ schwache Złoty macht diesen Konkurrenzvorsprung nur noch größer.
Viertens kann Polen nicht nur mit den Arbeitskosten, sondern auch mit der Arbeitsqualität konkurrieren. Das Land investiert intensiv in sein menschliches Kapital und ist dabei bemüht, das Potenzial an Innovationskraft und Unternehmergeist seiner Bürger voll und ganz zu nutzen. Es bemüht sich darum, inländische Firmen und die Zusammenarbeit zwischen der Geschäftswelt und dem mittlerweile ganz passabel entwickelten Wissenschaftssektor zu fördern, wobei es allerdings ständig sein Wohlwollen gegenüber ausländischen Investoren bekundet.
Fünftens nehmen sich Polens Finanzen recht solide aus. Das Land hat einen Handelsüberschuss und eine leicht defizitäre Leistungsbilanz. Das Haushaltsdefizit bleibt in dem im Maastrichter Vertrag festgesetzten Rahmen und die öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP ist deutlich geringer als in den meisten Ländern Europas. Die Währung bleibt trotz globaler Schwankungen relativ stabil und es gibt auch keine Spuren von Inflation.
Sechstens sind die Investitionsvoraussetzungen nicht schlecht. Obwohl wir alle gern über Bürokratie klagen, befindet sich Polen in einem von der Weltbank geführten Ranking, das die geschäftlichen Voraussetzungen definiert, auf dem 24. Platz in der Welt, ganz deutlich über dem EU-weiten Durchschnitt. Deutschland liegt in diesem Ranking auf Platz 17, Tschechien, Ungarn und Slowakei weit hinter Polen, Spanien auf Rang 32, Russland auf dem 40. und China auf dem 78 Platz.
Kurzum, es ist gar nicht so schlecht um Polen bestellt. Die Politik mag natürlich immer eine Quelle von Irritationen sein, aber diese bleiben meist nur zeitweilig. Polen verfügt über hervorragende Entwicklungsstärken und hat gute Entwicklungsaussichten. Das ist es, was die Investoren zuallererst im Blick haben dürften.